Wir sind alle im Dschungel

Wir sind alle im Dschungel

Der Sudanese Abdelaziz Baraka Sakin verwandelt in „Der Rabe, der mich liebte“ eine migrantische Todesfahrt in einen Schwank – das muss man sich erst mal trauen. Und auch können.
Abdelaziz Baraka Sakin
Bildunterschrift
Abdelaziz Baraka Sakin
Der Rabe, der mich liebte

Abdelraziz Baraka Sakin | Der Rabe, der mich liebte | Aus dem Arabischen von Larissa Bender | Klingenberg | 136 Seiten | 21.90 EUR

Abdelaziz Baraka Sakin ist einer der großen Autoren des Sudans, der sich immer wieder aktueller politischer  Themen annimmt. Vor einigen Monaten hat die sudanesische Autorin Leila Aboulela in Literatur.Review  anlässlich des Kriegsgeschehens im Sudan auf Sakins bereits 2012  erschienen  (und 2021 ins Deutsche übersetzten) Roman Der Messias von Darfur aufmerksam gemacht, um besser zu verstehen, was gerade im Sudan passiert.

Auch Sakins neuer Roman Der Rabe, der mich liebte ist ein aktuelles, höchst politisches Buch. Anders als in Der Messias von Darfur, fokussiert Sakin jedoch nicht auf das Geschehen in seiner Heimat, sondern auf jene, die durch dieses Geschehen entwurzelt wurden und den Weg in die Fremde angetreten haben. Das mag sich nach ausgetretenen literarischen Pfaden anhören, denn sogenannte Migrations-Literatur über das Ankommen und Überleben in der Diaspora ist inzwischen kein literarisches Neuland mehr und eindrücklich ausdifferenziert worden, wie etwa – um im sudanesischen Kulturraum und bei der bereits erwähnten Leila Aboulela zu bleiben – Aboulelas aufregende Migrationsreflexion Minarett   (2020). Und mehr noch, als ja inzwischen auch die Binnenmigration literarisch an Bedeutung gewinnt, wie in Abi Darés großartigem Roman The Girl with the Louding Voice

Doch Sakin überrascht. Das liegt zum einen daran, dass er seinen Aufenthalt als Stadtschreiber von Graz von 2022 bis 2023 dazu genutzt hat, in seinem Roman nicht nur der Stadt Graz ein so zärtliches wie düsteres Denkmal zu setzen, sondern auch seine eigenen Jahre des Exils in Saalfelden und Montpellier und die damit einhergehenden Erfahrungen mit hat einfließen lassen.

Doch wie Sakin diese Erfahrungen und das Wissen um Migrationsströme- und Orte wie  den „Ameisenweg“ aus dem Sudan über Graz nach Calais literarisch transformiert, ist die eigentliche Überraschung. Denn die Erzählung über zwei Freunde, die gemeinsam gen Westen ziehen und von denen nur einer das Glück hat wirklich anzukommen, hätte auch ein harter, realistischer und unmissverständlich die Ungerechtigkeit der Welt anklagender Roman werden können. Doch Sakin entscheidet sich für etwas völlig anderes. Auf nur 136 Seiten entwickelt er einen multiperspektivischen Schwank, der mit schwarzem Humor von den Zufällen des Lebens erzählt, von der schicksalhaften Tragik, die den literarisch begabten Freund Adam scheitern und den Geschäftsreisenden Nuri ankommen lässt. Doch bei allem zärtlichen Humor und den am Ende dann tatsächlich schwankartigen Momenten einer gescheiterten Flucht über den Kanal, gelingt es Sakin dennoch, ein dichtes tiefenpsychologisches Netz zu spannen. Nicht nur durch die Andeutung eines frühkindlichen Traumas  oder einer schizoiden Veranlagung von Adam, sondern auch über dessen manische Besessenheit bezüglich Edgar Allan Poe und dessen Raben. Und über einen indigenen Bildungsschatz, der von Larissa Bender, die für die geschmeidige Übersetzung aus dem Arabischen ins Deutsche verantwortlich ist, in wichtigen Fußnoten erläutert wird.

Und noch etwas besticht an Sakins Roman. Die ethnografische Qualität. Denn allein schon die Psychogramme der beiden Freunde reichen  aus, all das zu bestätigen, was Hein de Haas vor kurzem in seinem klugen Buch über Migration   geschrieben hat, aber auch das übrige Personal, das sich durch überraschende Hintertüren in Sakins Roman einschleicht, erzählt von Migranten (und natürlich auch europäischen Indigenen), die gerade nicht dem entsprechen, was der Volksmund glaubt. Es sind verhinderte Professoren, Geschäftsleute und Schmiede, die in ihrer Not zu Schleusern werden, ein Auskommen im Dschungel des Untergrunds finden und dabei natürlich immer eine Wirtschaft unterstützen, die diese Menschen braucht, während eine populistische Politik vom Gegenteil spricht. Doch auch hier verbittet sich Sakin jede Klage, sondern erhebt mit der Waffe des Humors und einer fein geschliffenen Selbstironie die Hand und weiß selbst über den Tod hinaus von einem erfüllten Leben zu erzählen, denn er weiß: „Jede Seite hat ihre Dramen und Verluste. Wir sind alle im Dschungel.“

Rezensiertes Buch