Unser Anteil am Glück

Unser Anteil am Glück

Ron Rashs moderne Romeo und Julia-Version „Der Friedhofwärter“ über ein Amerika in Zeiten des Korea-Krieges zeigt so zärtlich wie gnadenlos, dass die heutige Zerrissenheit der USA schon immer da war
Ron Rash
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Ron Rash
Ron Rash Der Friedhofswärter Cover

Ron Rash | Der Friedhofswärter | ars vivendi | 240 Seiten | 24 EUR

Ron Rash dürfte außerhalb der USA nur wenigen Lesern ein Begriff sein. Das mag daran liegen, das der 1953 geborene Rash vor allem ein Meister der klassischen Kurzgeschichte ist und dann auch noch Gedichte schreibt – beides ist trotz zahlreicher Auszeichnungen nichts, was normalerweise in den „Export“ geht. Und dann sind da noch die Romane, von denen gleich zwei von ungewöhnlichen Regisseur:innen, von  David Burris (The World Made Straight, 2006) und Susanne Bier (Serena, 2008) verfilmt wurden; Romane, die stets „klassische“ Geschichten aus dem finsteren Herzen Amerikas erzählen.

So wie seine Geschichten, so ist auch die Sprache Rashs und der Aufbau seiner Erzählungen „klassisch“. Es sind Texte, die auch in der Mitte des letzten Jahrhunderts geschrieben hätten werden können. Nichts ist hier postmodern, es wird nicht experimentiert – das Herz dieser Texte ist immer das Narrativ. Das ist überaus wohltuend, mehr noch, wenn es sich um einen so dichten wie elegant geschriebenen Roman wie den  2023 in den USA erschienen Roman Der Friedhofwärter (The Caretaker) handelt, der von Sigrun Arenz souverän und in dem Rash eigenen subtilen Rhythmus in das Deutsche übertragen wurde.

Auch wenn allein schon die schlichte, aber sehr gezielt eingesetzte Sprache von Rash und Arenz‘ Übersetzung ein Hochgenuss sind, mag man im ersten Moment stutzen und sich fragen, was eine amerikanische Geschichte vom Land in Zeiten des Korea-Krieges uns in heutigen Zeiten bedeuten soll? Denn auch die hier erzählte Geschichte von einfachen Bauern und einer Händlerfamilie im ländlichen Amerika weckt dann doch zuerst Assoziationen an die Literatur vergangener Zeiten, an Knut Hamsuns großes Epos über das Land, an Segen der Erde, und an einen anderen fast vergessenen Nobelpreisträger, an  Władysław Reymont und seine Bauern. Und natürlich an Shakespeares Romeo und Julia.

Denn nichts anderes erzählt Rash hier vor der gespenstisch anmutenden Kulisse des Korea-Krieges, in das der aus einer wohlhabenden, wenn auch ländlichen Familie stammende Jacob zieht und seine noch minderjährige Braut Naomi schwanger zurücklässt. Jacobs Eltern sind ratlos, haben sie dieser Hochzeit doch nicht zugestimmt. Doch mit der Rückkehr von Jacob bietet sich ihnen eine zweite Chance.  Rash inszeniert diese Rückkehr des verlorenen Sohnes spannend, düster und hoffnungslos, und immer wieder überraschend. Nicht nur, weil es ihm gelingt, sublim die Hierarchien der amerikanischen Gesellschaft bloßzulegen, sondern auch, weil er Rückkehr, Hoffnung, Lüge und Verrat so knapp und präzise, gleichzeitig aber auch zärtlich in Worte zu fassen versteht wie Leonard Frank  mit seiner großen Liebes- und Kriegsrückkehrer-Novelle Karl und Anna, die 1947 als Desire me  mit Robert Mitchum und Greer Garson verfilmt wurde.

Auch in Rashs Friedhofswärter gibt es einen Stellvertreter der Liebe, Jacobs besten Freund Blackburn Gant und auch bei Rash so wie bei Frank stehen die Toten wieder auf, anders als in Shakespeares Zeiten, in denen ein pathetisches Ende Pflicht war. Bei Rash ist die Realität Pflicht. Obgleich auch hier Eltern in die Pflicht genommen werden, indem sie ihre eigene innere Kleinheit skizzieren, was ihre Beweggründe im Leben sind: „Es ist immer darum gegangen, dass wir versucht haben, etwas zu behalten, das man uns wegnehmen wollte, oder etwa nicht?“ „Ja, und das ist der Grund, warum uns das Leben etwas schuldig ist. Unseren Anteil am Glück.“

Dieser kurze Dialog von Jacobs Eltern über ein kleines Leben erklärt nicht nur dieses Leben, er erklärt auch den Riss, der sich nicht nur durch diese ländliche Gegend der 1950er Jahre, sondern bis heute durch ganz Amerika, ja den größten Teil der Welt zieht; er erklärt den Krieg, der auf einem fernen Kontinent tobt, ein Krieg, der sich mit dieser Moral nicht besser rechtfertigen ließe. Und auch das Töten und die Träume von den Toten, die alle haben, die in diese Kriege gezogen sind.

Rash lässt diese Stimmen sprechen, ohne dabei laut zu werden, er erklärt das Große mit dem Kleinen und hat am Ende dieser düsteren Erzählung dann sogar so etwas wie Hoffnung, wenn er, so wie einst der deutsche Philosoph und Soziologe Arno Plack so verblüffend wie simpel zeigt, wie das vielleicht Wichtigste im Leben geht: Ohne Lüge leben.

Rezensiertes Buch