Mechanismen der Macht

LenosFann Attiki | Cave 72 | Lenos | 212 Seiten | 26 EUR
Es sind Romane wie diese, die man sich für fast jedes Land wünscht, die es jedoch viel zu selten gibt: Politisch und doch poetisch, bissig und brutal, aber doch zärtlich und empathisch.
So jedenfalls liest sich Fann Attikis bereits 2021 mit dem Prix Voix d’Afriques ausgezeichneter und in Französisch erschienener Roman Cave 72, der nun auch auf Deutsch erschienen ist. Mit etwas über 200 Seiten mag Attikis Debüt vielleicht nicht lang sein, dennoch gelingt es Attiki gleich auf mehreren Ebenen, diese Seiten erheblich länger und nachhaltiger zu gestalten als es die Seitenzahl vermuten lässt.
Nicht nur ist Cave 72 ein dichter Stadtroman über Brazzaville, der Hauptstadt der „kleinen“ – dem großen Kongo und Kinshasa gegenüberliegenden – Republik Kongo, über den der Leser nicht nur Stadtteile und Orte am Ufer des Kongo kennenlernt, sondern auch in den Lebensalltag von Attikis Protagonisten eingeführt wird, die zwar in unterschiedlichen Stadtteilen leben, aber sich an einem Ort treffen, der "Cave 72", einer kleine Bar in Brazzaville, die Mâ Vouala gehört, die von allen jedoch nur Maman Nationale genannt wird. Hier beginnt Attikis Roman und von hier spinnt er ein feines, subversives erzählerisches Netz, das nicht nur die sozialen Strukturen von Brazzaville miteinander verbindet und seziert, sondern vor allem auch die politischen Strukturen.
Attiki benutzt hierfür ein soziales Instrument, das schon vor den Zeiten des Internets und seiner sozialer Medien nicht nur in Zentralafrika ein machtvolles Instrument war, um die Realität mit Lügen für sich zu instrumentalisieren. Das sogenannte „Radio Trottoir“ – die mit dem Menschsein zutiefst verwobene „Gerüchteküche“ – über das Dieudonne Mbala Nkanga schon 1992 einen faszinierenden Aufsatz geschrieben hat , ist bei Attiki, der 2011 über einen Slam-Workshop zur Literatur gefunden hat, im Zusammenspiel mit Handy und sozialen Medien allerdings noch einmal um einiges explosiver. Gleichwohl beginnt alles meist so, wie es schon immer war, wenn menschliche Niedertracht sich des Wortes bedient:
„Dieser Verdacht wurde zu einer Geschichte. Die Geschichte bahnte sich ihren Weg. Sie verbreitete sich von einer Schulbank zur anderen, segelte siegessicher, soweit sie der Wind tragen konnte.“
Das ist in Cave 72 um so eindringlicher, als es Attiki gelingt, alle gesellschaftlichen Schichten in seine Erzählung mit einzubinden. Dadurch zeigt Attiki nicht nur, wie leicht normale Bürger zum Spielball von Machtkämpfen werden können, mit denen sie im Grunde nichts zu tun haben, sondern auch, wie autokratische System letztendlich funktionieren und sich immer wieder neu reproduzieren.
Erstaunlich sind dabei nicht nur die wunderbar gestalteten Alltags-Vignetten einer zentralafrikanischen Großstadt wie Brazzaville, sondern die beeindruckende Empathie, mit der Attiki sein Personal entwickelt. Vor allem, weil diese Empathie sich nicht nur auf die „Opfer“ des hier dargestellten Komplotts beschränkt, sondern Cave 72 fast liebevoll-ironisch auch von den Tätern berichtet. Dabei macht Attiki nicht einmal Halt vor dem obersten Repräsentanten des Staates, der zusammen mit seiner Frau auf fast schon unheimliche Weise Parallelen zum gegenwärtigen Präsidenten der USA aufweist.
Fann Attiki und seine Erzählung Der Fall auf Literatur. Review.
Davon konnte Attiki, als er seinen Roman vor mehr als fünf Jahren schrieb, natürlich nichts wissen, aber es ist wie so oft das politische System, die Situation, und nicht der Mensch selbst, der die Beteiligten letztendlich korrumpiert. Damit ist Attikis Roman bei aller Satire auch eine sehr ernste Warnung darüber, was uns angesichts des populistischen Dilemmas in unserer westlichen Welt noch bevorstehen könnte.