"Der Islam ist nicht antifeministisch!"

"Der Islam ist nicht antifeministisch!"

Die Schriftstellerin, Dichterin und Literaturwissenschaftlerin Nenden Lilis Aisyah über die Entwicklung der indonesischen Literatur, Politik, Massenmorde und Massaker, Feminismus und den modernen Umgang mit dem Islam in Indonesien.
Nenden Lilis Aisyah
Zur Person

Indonesien ist ein Inselstaat in Südostasien. Mit über 277 Millionen Einwohnern ist es das viertbevölkerungsreichste Land und der größte Inselstaat der Welt und das Land mit der größten Anzahl von Muslimen in der Welt. Die Geschichte Indonesiens ist seit jeher eine Geschichte der Kolonisierung durch  Portugiesen, Japaner und Niederländer, und seit der Anerkennung der Unabhängigkeit durch die Niederländer im Jahr 1949 ist sie auch eine Geschichte der Demokratie im Wandel,  nicht nur wegen der legendären Bandung-Konferenz im Jahr 1955 und der dadurch nachhaltigen Veränderung der Weltordnung. Nach den Jahren des Aufbruchs unter dem ersten Präsidenten Sukarno wurden die New Order-Jahre unter Präsident Suharto nicht nur durch einen genozidalen Massenmord 1965/66 eingeleitet, sondern auch durch Massenunruhen 1998 beendet. Die Jahre unter Suharto waren zwar von wirtschaftlichem Erfolg geprägt, doch die Regierung war repressiv, schränkte die Meinungsfreiheit ein und verhängte eine strenge Zensur.
Der Aufbruch nach diesen Jahren hat zu einer neuen, blühenden Moderne geführt, in der Literatur und Kunst eine sichtbare Rolle im Alltag spielen. Die letzten Wahlen fanden im Mai 2024 statt. Das Ergebnis erinnert an das Wahlverhalten in Deutschland und vielen anderen westlichen Ländern: Vor allem junge Menschen stimmten für Prabowo Subianto, einen Präsidenten, der Teil von Suhartos  New Order-System war und nun einen rechtsnationalistischen Kurs vertritt. Prabowo wird sein Amt am 20. Oktober 2024 antreten.

Nenden Lilis Aisyah wurde 1971 in Garut, West Java, geboren. Ihre Gedichte, Kurzgeschichten und Essays sind in zahlreichen Büchern und verschiedenen Medien im In- und Ausland erschienen. Sie hat zwei Gedichtbände veröffentlicht: Negeri Sihir (Magisches Land), 1999, und Maskumambang Buat Ibu (Maskumambang für Mutter), 2016, sowie eine Sammlung von Kurzgeschichten, Ruang Belakang (Hinterzimmer), 2003. Sie wurde 2005 mit dem Pusat Bahasa Award ausgezeichnet und nimmt regelmäßig an internationalen Literaturfestivals teil. Sie lebt in Bandung und lehrt Literatur an der Universitas Pendidikan Indonesia.

Das Interview fand im Sangkarasa Café und Restaurant in Bandung Wetan statt.


Axel Timo Purr: Wir befinden uns in Bandung, einem der wichtigsten kulturellen Zentren Indonesiens, mit vielen Hochschulen und Universitäten und einer blühenden Literaturszene. Wenn man das alles sieht, fragt man sich, wie es dazu gekommen ist. Wie hat sich die Literatur in Indonesien von den Anfängen bis zur Gegenwart entwickelt, und wie haben die so unterschiedlichen Epochen die literarischen Werke beeinflusst?

Nenden Lilis Aisyah: Über die Entwicklung der indonesischen Literatur zu sprechen, ist aufgrund der langen Geschichte und des riesigen Territoriums Indonesiens, das ja aus so vielen verschiedenen Sprachen, ethnischen Gruppen, Religionen, Kulturen, Bräuchen usw. besteht, tatsächlich eine sehr komplexe Angelegenheit. Vor dem Aufkommen der modernen Literatur gab es in Indonesien in verschiedenen Regionen eine Art von traditioneller Literatur. Mit dem Zugriff der westlichen Kultur und der Entwicklung der Technologien begann dann aber auch Indonesien, die moderne Literatur zu adaptieren. Die moderne indonesische Literatur durchläuft dabei wie überall auf der Welt verschiedene Epochen mit unterschiedlichen Merkmalen. Diese unterschiedlichen Merkmale sind auf die verschiedenen sozialen, politischen, kulturellen usw. Situationen und Bedingungen in jeder Epoche zurückzuführen. Das bedeutet, dass sich die Situation und die Bedingungen einer jeden Epoche in der Ästhetik und dem Inhalt der literarischen Werke dieser Epoche widerspiegeln.

Revolusi

Empfehlenswerte Lektüre über Indonesien und seine Kolonialgeschichte: David Van Reybrouck | Revolusi: Indonesia and the Birth of the Modern World | W. W. Norton & Company | 645 Seiten | 16,90 USD

Damit würde ich gerne ins Detail gehen: Indonesien ist eines der Länder, das im Laufe der Jahrhunderte wegen seiner vielfältigen Rohstoffe und strategischen Lage nachhaltig kolonisiert wurde, und die Zensur  der jeweiligen Machthaber war sicherlich stets omnipräsent. Wie sah die Zensur oder die Beschränkungen für die  literarischen Werke in den einzelnen Epochen aus?

Während der niederländischen Kolonialzeit gründeten die Niederländer eine Institution namens Balai Pustaka. Werke, die von dieser Institution veröffentlicht wurden, wurden nicht nur sprachlich geprüft (denn sie mussten in  Hochmalaiisch geschrieben sein), sondern auch in Bezug auf den Inhalt des Werks. Wenn der Inhalt des Werks die  Souveränität der Niederländer bedrohte, wurde dieser Teil entfernt oder nicht veröffentlicht. Während dieser Zeit wurden allerdings auch viele literarische Werke von privaten Verlegern veröffentlicht, die sich mit der nationalistischen Bewegung befassten, aber die niederländische Kolonialregierung versuchte diesen Werken mit allen Mitteln einen schlechten Ruf anzuhängen, bezeichnete sie als moralisch verdorben und von schlechter Qualität zu sein, um die Öffentlichkeit davon abzuhalten, sie zu lesen.
Während der japanischen Kolonialzeit richtete Japan  die sogenannte  Keimin Bunka Shidoso ein. Diese Behörde führte eine Zensur  für literarische Werke durch, die erheblich strenger was als die der Niederländer. Die damals veröffentlichten literarischen Werke mussten  zwangsläufig Propaganda für den Sieg Japans in Großostasien enthalten. Infolgedessen wurde die Entwicklung der indonesischen Literatur während der japanischen Kolonialzeit extrem gehemmt. 
Zur Zeit der Unabhängigkeit und der Sukarno-Regierung verfolgte Indonesien das Prinzip des NASAKOM (Nationalismus, Religion und Kommunismus), da die damalige indonesische Regierung politisch eher der Sowjetunion zugeneigt war. Zu dieser Zeit verfügte jede politische Partei über eine Kultureinrichtung. Die mächtigste und bekannteste Kultureinrichtung war die der Kommunistischen Partei Indonesiens (PKI) namens LEKRA (Lembaga Kebudayaan Rakyat). Die LEKRA war so dominant, dass sie von den Schriftstellern verlangen konnte, im Interesse der kommunistischen Ideologie zu schreiben, sich also auf die Seite des einfachen Volkes und der kommunistischen Partei zu stellen. Dies wurde von Schriftstellern außerhalb der LEKRA nicht akzeptiert, die sich  in einer Gruppe namens Manifestes Kebudayaan (MANIKEBU) zusammenschlossen. Während dieser Jahre unter Sukarno kam es zu einer lang anhaltenden Polemik zwischen LEKRA und MANIKEBU. Man kann in diesem Fall sogar von Selbstzensur sprechen, denn die Zensur literarischer Werke  ging nicht von der Regierung, sondern hauptsächlich von der LEKRA aus, die ja eine Gruppe von Schriftstellern war,  die auf der Seite der kommunistischen Idee standen. 
Während der New Order-Jahre unter Suharto wurden die LEKRA-Schriftsteller meistens verboten, weil die neue indonesische Regierung auch den Kommunismus verbot. Etliche  der verbotenen LEKRA-Schriftsteller verließen Indonesien und suchten im Ausland Asyl.  Ihre Werke durften damals nicht in Umlauf gebracht werden und waren in Indonesien verboten, darunter auch die Werke von großen Autoren wie  Pramoedya Ananta Toer. Darüber hinaus wurden während der New Order Werke, die die Regierung kritisierten,  rigoros zensiert. Um das zu umgehen, begannen die Autoren, die  Kritik an der Regierung über surrealistische und symbolistische Methoden subtil an ihre Leser weiterzugeben.
Seit den ersten Reformen Anfang der 1990er Jahren hat sich das wieder geändert, denn  die neuen  indonesischen Regierungen haben die Zensur im Grunde aufgehoben, so dass die Autoren wieder alle Freiheiten haben, die sie sich wünschen. Für eine ausführlichere Erklärung möchte ich auf zwei meiner Aufsätze aufmerksam machen:

und

The Act of Killing

Joshua Oppenheimer | The Act of Killing | 2012 | 159 MIN

Die meisten Menschen im Westen kennen die indonesischen Massenmorde der 1960er Jahre nur aus den beiden Dokumentarfilmen von Joshua Oppenheimer, The Act of Killing (2012) und The Look of Silence (2014), in denen Oppenheimer die Morde mit Opfern und Tätern nachstellte. Obwohl die indonesischen Co-Regisseure (einige von ihnen wollten anonym bleiben) mit Oppenheimer zusammengearbeitet haben, sind die Filme natürlich dennoch aus einer westlichen Perspektive erzählt. Ich frage mich, was mit der indonesischen Literatur in dieser Hinsicht geschehen ist, da diese Zeit ja ein großes Tabuthema ist. Gibt es literarische Werke, die sich speziell mit den Massenmorden an Menschen, die der PKI angehörten,  beschäftigen? 

Sie meinen die Ermordung von einer halben Million PKI-Mitgliedern, einschließlich ihrer Familien und Sympathisanten, und die Deportation von 12.000 politischen Gefangenen auf die Insel Buru? Diese Trilogie von Ereignissen wird  selbstverständlich als Tragödie betrachtet und hat auch die Literatur dementsprechend beeinflusst. Nehmen Sie etwa die Verbannung der politischen Gefangenen auf die Insel Buru, die durch Ahmad Toharis Romane Kubah (1980), Nh. Dini (1989), Mangunwijayas Durga Umayi (1991) und Pramoedya Ananta Toers Memora Nyanyi Sunyi Seorang Bisu (1995) thematisiert wurde.
Aber es gibt auch mehrere literarische Werke, die sich mit dem Massaker an PKI-Sympathisanten in Indonesien beschäftigen, darunter Sri Sumarah von Umar Kayam (1975), Jentera Lepas von Ashadi Siregar (1979), Mencoba Tak Tak Menyerah von Yudhistira Anm Massardi (1979), Ronggeng Dukuh Paruk von Ahmad Tohari (1984). Neben den literarischen Werken gibt es auch Dokumentarfilme, die sich mit den Massakern von 1965-1966 befassen, etwa Jagal, Senyap, Nyala: Nyanyian yang Tak Lampus.
Während der New Order-Jahre unter Präsident Suharto waren allerdings alle Werke über das Massaker an PKI-Sympathisanten verboten. Während der Reformära begannen diese Werke dann  jedoch erneut zu zirkulieren und von der Öffentlichkeit gelesen zu werden, obwohl die Themen und Inhalte solcher Werke von den meisten Indonesiern weiterhin als Tabu angesehen werden.

Chronologie der Mai 1998 Massenunruhen in Indonesien.

Da wir  gerade von Massakern und ihrer literarischen Verarbeitung sprechen: gibt es irgendwelche literarischen Werke, die sich speziell mit den Massenunruhen und dem Massaker an ethnischen Chinesen von 1998 befassen?

Natürlich gibt es einige Büchern, die sich mit der Tragödie von 1998 befassen; diese Bücher sind frei verfügbar, auch wenn wie bei den Ereignissen in den 1960er Jahren die meisten Indonesier das Thema als Tabu und äußerst heikel betrachten:
- Seno Gumira Ajidarma ist eine Kurzgeschichte mit dem Titel Clara in der Kurzgeschichtensammlung Iblis Tidak Pernah Mati, die 1999 veröffentlicht wurde. Sie erzählt die Geschichte einer Frau chinesischer Abstammung, die während der Unruhen im Mai 1998 gefoltert und vergewaltigt wurde. 
- Der Roman "Tears of My Brother"  (Air Mata Saudaraku) von S. Mara Gd.  im Verlag Gramedia Pustaka Utama ist  2004 erschienen. S. Mara Gd ist eher für seine Krimis und Detektivromane bekannt. In Air Mata Sauderaku greift er jedoch das Thema der Unruhen von 1998 in Surabaya auf. Er erzählt die Geschichte von Hasan Tandoyo, einem jungen chinesischen Geschäftsmann, der im Mai 1998 zu einer Geschäftsreise nach Jakarta aufbrach. Hasan schaffte es zwar, sicher nach Surabaya zurückzukehren. Doch als er in Surabaya ankam, musste er feststellen, dass sein Haus und sein Geschäft geplündert worden waren. Seine Mutter war getötet worden. Und Lani, seine jüngere Schwester, war so brutal vergewaltigt worden, dass sie geisteskrank wurde.
- Der Roman "Red May 1998: Wenn die Geister sprechen"  (Mei Merah 1998, Kala Arwah Berkisah) von Naning Pranoto im Verlag: Buku Obor aus  dem Jahr 2018. Er erzählt die Geschichte einer Frau, die während der Mai-Unruhen 1998 vergewaltigt wurde. Infolgedessen wird sie schwanger und schwer depressiv. Nach der Geburt ihres Kindes begeht die Frau Selbstmord. Nachdem sie zu einem Geist geworden ist, erzählt ihr Geist von all dem Leid, das ihr widerfahren ist.
- Dewi Anggraenis "Mein Schmerz, mein Land", ein Roman, der vor dem Hintergrund der Unruhen vom Mai 1998 in Indonesien spielt. Der Roman erzählt die Geschichte einer chinesischen Indonesierin während der Unruhen, die auf den Sturz von Präsident Suharto folgten. Das englischsprachige Buch erzählt die Geschichte von Irinas Familie. Sie sind chinesische Peranakaner, die Nationalisten sind. Ihr Großvater kämpfte für die Unabhängigkeit. Aber sein chinesisches Blut machte Irina und ihre Familie zu Opfern.
Neben den oben genannten Werken gibt es natürlich  weitere Werke, die von den tragischen Ereignissen des Jahres 1998 erzählen.

José Rizal | Noli Me Tángere | Ebook Version von Project Gutenberg

Jedes Land hat irgendeinen besonders wichtigen Autor oder ein wichtiges Buch. Wir Deutschen haben Goethe, Thomas Mann und Günter Grass (die beiden letzteren Nobelpreisträger). Oder nehmen Sie zum Beispiel die Philippinen und José Rizal und sein Noli Me Tángere, das noch heute diskutiert wird. Gibt es ein ähnliches, sehr wichtiges und monumentales literarisches Werk, das die Geschichte und Kultur Indonesiens repräsentiert und zusammenfasst?

Aufgrund der Komplexität der Kultur und der sozialen Probleme der indonesischen Nation ist es sehr schwierig, ein einziges, sehr wichtiges und monumentales Werk zu nennen, das die Geschichte und Kultur der indonesischen Nation repräsentiert und zusammenfasst. Jeder Autor schreibt auch über die Geschichte, Kultur und gesellschaftspolitische Kritik seiner jeweiligen Region. Daher kann ich nur einige wenige Autoren nennen, die unter vielen anderen bedeutenden Schriftstellern als sehr wichtig gelten. Zuallererst empfehle ich  die  Bumi Manusia Tetralogie (bestehend aus drei Romanen mit den Titeln Bumi Manusia, Jejak Langkah und Rumah Kaca), von dem bereits vorhin erwähnten Pramoedya Ananta Toer. Der Roman schildert die Geschichte der Nation Indonesien und der indonesischen Kultur während der niederländischen Kolonialzeit. In diesem Roman gibt es übrigens auch eine sehr starke und fortschrittliche weibliche Figur namens Nyai Ontosoroh.
Auf dem Gebiet der Poesie kann ich die Namen zahlreicher Schriftsteller nennen, die viele großartige Gedichte geschaffen haben, die Indonesien in seiner ganzen Komplexität darstellen und widerspiegeln, darunter Muhamad Yamin (ein Meilenstein der modernen indonesischen Poesie), Chairil Anwar (Pionier der Literatur der 45er Generation), Amir Hamzah (ein Meilenstein der Poesie der jungen Generation), WS. Rendra, Taufiq Ismail, Sutardji Calzoum Bachri, Sapardi Djoko Damono und Goenawan Mohamad. Oder  Remy Silado, dessen Romane und Gedichte viel über die Geschichte und Kultur des indonesischen Volkes erzählen. Für die Literatur der Pujangga Baru Periode (1930er Jahre) gibt es die  phänomenalen Werke von Sutan Takdir Alisyahbana und Armin Pane
Im Bereich des Dramas empfehle ich die Stücke der großen Dramatiker und Regisseure Arifin C. Noer und Nano Riyantiyarno.
In der zeitgenössischen Belletristik würde ich die Werke von Oka Rusmini und Ayu Utami empfehlen.  Für die zeitgenössischen indonesische Populärliuteratur halte ich die Werke von Dewi Lestari und Andrea Hirata für lesenswert.

Agus R. Sarjono und sein Essay Ping on top of Pong @literatur.review

Da Sie gerade die zeitgenössische Belletristik erwähnt haben, würde ich hier gern mehr wissen: Wie hat sich die indonesische Literatur in den 2000er Jahren bis heute denn entwickelt? Das heißt, nach den stark von der Zensur geprägten Zeit der New Order unter Suharto?

Seit den 2000er Jahren, der Zeit der Reformen und der Öffnung, verlief die Entwicklung der Literatur in großen Sprüngen, sehr vielseitig und kreativ. Zuvor wenig beachtete Literatur wie islamische Literatur, feministische Literatur, populäre Literatur, Randgruppenliteratur, grüne Literatur und viele andere begannen zu erscheinen. Laut dem indonesischen Literaturkritiker Korrie Layun Rampan gibt es so viele indonesischer Schriftsteller wie nie zuvor. Im Bereich der Belletristik etwa die bereits erwähnten Dewi Lestari (Romantik, Idealismus, Science Fiction usw.) und Ayu Utami (Feminismus und der Frauenkörper und Science Fiction), Oka Rusmini (Feminismus und balinesische Kultur), Helvy Tiana Rosa (die islamische Themen aufgreift, um sie  in der breiten Öffentlichkeit populär zu machen und damit eine neue Art von Literatur zu schaffen, die ISPOLIT oder islamische Populärliteratur genannt wird), Leila S. Chudori (mit ihrem Hintergrund als Journalistin hat sie viele sozio-politische historische Ereignisse aufgegriffen, die  vorher zum Schweigen gebracht wurden. Der Inhalt ihrer Romane erzählt Geschichten über Ehrlichkeit, Glauben und Entschlossenheit, Prinzipien und Opfer und vieles mehr.)
Dann gibt es im Bereich der Poesie Namen wie Acep Zamzam Noor (Seine Lyrik  spielt mit Atmosphäre, Religion, Liebe und Sozialkritik), Afrizal Malna (die moderne Welt und des städtische Leben), Agus R Sarjono (seine Gedichte sind meist sozialkritisch), Joko Pinurbo (seine Gedichte enthalten  Reflexionen und Betrachtungen, die die Absurditäten des Alltags berühren), Dorothea Rosa Herliani und ich selbst, Nenden Lilis A (in meinen Gedichten geht es vor allem um Gesellschaftskritik, individuelle Reflexion und Feminismus).
Im Bereich der Kurzgeschichten gibt es Namen wie Seno Gumira Ajidarma, Joni Aria Dinata, Djenar Maesa Ayu, Linda Christanty. Neben den bereits genannten Namen gibt es noch viele weitere Namen von Autorinnen und Autoren, die eigentlich wichtig sind, aber aus Platzgründen nicht einzeln genannt werden können.
Ein besonderes Phänomen in der Literatur der 2000er Jahre ist sicherlich,  dass viele literarische Entwicklungen von Frauen- und Feminismusthemen dominiert werden.

Wir haben über die sogenannte "Hochliteratur" gesprochen, die sich in Deutschland immer weniger verkauft. Das Gegenteil ist die Populärliteratur, die Romane für junge Erwachsene, die wirklich boomen. Welche Art von Populärliteratur entwickelt sich derzeit in Indonesien?

Es gibt verschiedene Arten, darunter Chicklit, Teenlit, Ladlit, Personalit und die einzigartige Ispolit (islamische Populärliteratur). thematisch geht es um psychische Gesundheit, Science-Fiction, Komödie, Liebe und anderes. Zu den Autoren der Ispolit-Literatur gehören Helvy Tiana Rosa, Asma Nadia, Habiburahman El Shirazy und andere. Beliebte literarische Figuren des Typs Personalite sind Raditya Dika, Ladlit: Aditya Mulya, Liebe oder Romantik: Dewi Lestari (DEE), Pidi Baiq, Tere liye. Andrea Hirata schreibt  insbesondere Romane über Bildung.  
Ich kann für Indonesien bestätigen, was Sie über den deutschen Buchmarkt sagen, dass Populärliteratur beliebter ist als Hochliteratur, was sich unter anderem an der Anzahl der Auflagen zeigt, die mehr als ein Dutzend betragen können.
Außerdem werden viele Werke der Populärliteratur von Filmproduzenten aufgegriffen. Die Filmproduzenten berücksichtigen bei der Verfilmung eines Werkes natürlich vor allem dessen Popularität. Wenn ein populäres literarisches Werk verfilmt wird, strömen die Menschen in Scharen ins Kino. Das ist etwas völlig anderes als bei der Hochliteratur, die nur selten nachgedruckt wird, es sei denn, es handelt sich um außergewöhnliche Werke. Außerdem veröffentlichen Autoren der Hochliteratur derzeit vermehrt ihre  Bücher im Selbstverlag, in  denen sie ihre Bücher zur Vorbestellung anbieten und sie dann je nach Anzahl der Bestellungen drucken lassen. Ein weiteres Beispiel dafür, dass sich populäre Literatur erheblich besser verkauft, stammt aus meiner Erfahrung als Universitätsdozentin.  Zu Beginn des Semesters frage ich  meine Studenten immer, welche  Bücher sie  gelesen haben, und es sind eigentlich fast ausnahmslos Werke  der populärer Literatur. Von 30 Studenten in der Klasse nennen normalerweise nur 2 oder 3 die Titel von Werken der Hochliteratur.

Zum Ende unseres Gesprächs möchte den Begriff des Feminismus in der indonesischen Literatur, den sie mehrmals verwendet haben, aufnehmen. Auch deshalb, weil es für die meisten westlichen Leser, die nicht erwarten, dass Feminismus auch in einer islamischen Kultur präsent sein kann, überraschend sein mag. Könnten Sie die Entwicklung der feministischen Literatur in Indonesien ein wenig erläutern?

Sie sagen, dass westliche Leser überrascht sein könnten, von der Entwicklung des Feminismus in einem überwiegend muslimischen Land zu hören. Das liegt natürlich auch daran, dass der Begriff Feminismus  tatsächlich westlichen Ursprungs ist. Aber der Grundsatz der Gleichheit und der Rechte von Frauen und Männern ist einer der Werte, die auch der Islam seit langem vertritt. Der Prophet Muhammad SAW lehrte beispielsweise explizit, dass Männer Frauen gut behandeln sollten, und wie Frauen und Männer zusammenarbeiten und sich gegenseitig lieben sollten, um ihre Rollen sowohl im häuslichen als auch im öffentlichen Bereich zu erfüllen. Frauen haben das gleiche Erbrecht wie Männer. Es wird auch gelehrt, dass ein Kind zuerst seine Mutter und dann seinen Vater ehren sollte. Selbst im Koran heißt es: "Der höchste Wert vor Allah ist die Frömmigkeit." Der höchste Wert wird also nicht in Bezug auf das Geschlecht, sondern in Bezug auf die Frömmigkeit gesehen. Mit diesem Wertekanon ist der Konflikt zwischen Frauen und Männern  in Indonesien, das ja überwiegend muslimisch ist, nicht allzu scharf ausgeprägt. So  wurden viele Königreiche der indonesischen Inselwelt von Frauen regiert. Beispielsweise das Sultanat Aceh, in dem fast die gesamte Bevölkerung muslimisch war und ist und das einst von der Königin Sultanah Safiatudin regiert wurde.
Der Islam ist also nicht antifeministisch! Der Islam ist nur mit bestimmten Ausprägungen des Feminismus nicht einverstanden, etwa dem Lesbentum. Deshalb ist die Diskriminierung von Frauen in der Literatur auch kaum existent. Obwohl der Islam, der von der Mehrheit der Indonesier praktiziert wird, die Gleichheit und Gerechtigkeit zwischen Männern und Frauen lehrt, sind die Ansichten der Gesellschaft über die Stellung der Frau allerdings auch stark von patriarchalischen, sozialen und kulturellen Werten beeinflusst, die sich nicht unbedingt aus der Religion ableiten lassen, sondern aus Werten, die seit langem tief in der Gesellschaft verwurzelt sind. Viele Auslegungen religiöser Gesetze sind ebenfalls von diesen kulturellen Werten beeinflusst. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Frauen deshalb eher im häuslichen Bereich angesiedelt und mit Stereotypen belegt werden, die für Frauen unvorteilhaft sind. Solche Ansichten und gesellschaftlichen Werte wirken sich letztlich auch auf die kreativen Prozesse der Frauen aus, so dass zahlenmäßig weniger Frauen als Männer ihre Werke veröffentlichen.
Frauen neigen dazu, passiv zu sein, und die Last der Hausarbeit führt dazu, dass sie keine Zeit für kreative Arbeit haben. Aufgrund dieser sozialen und kulturellen patriarchalischen Sichtweise ist die Kritik an der Qualität der von Frauen produzierten literarischen Werke zudem weniger proportional, so dass die Werke von Frauen weniger anerkannt oder an den Rand gedrängt werden. Seit den 1990er Jahren haben Frauen in Indonesien jedoch begonnen, sich aktiv für ihre Existenz in der Literatur einzusetzen, z. B. durch die Veröffentlichung von Anthologien von Frauen, die Gründung von literarischen Gemeinschaften oder Organisationen ausschließlich für Frauen, die Organisation von Literaturveranstaltungen ausschließlich für Frauen, die Erforschung und Ausgrabung verschütteter Werke von Frauen und vieles mehr. Ich selbst habe in Zeitungen viel über Frauenfragen in der Literatur geschrieben. Außerdem habe ich zusammen mit Freundinnen eine literarische Gemeinschaft nur für Frauen in Westjava gegründet, die Komunitas Sastra Dewi Sartika. Dank solcher Bemühungen sieht die literarische Landschaft in Indonesien heute viel besser und gerechter aus als noch vor 40 Jahren.
Für einen detaillierteren Überblick über den Feminismus in der indonesischen Literatur empfehle ich ein weiteres Mal meinen Aufsatz:

und zwar den Abschnitt, der speziell auf die Entwicklung der feministischen Literatur in Indonesien eingeht - obwohl selbst dieser Text noch zu vereinfacht ist und nicht alle Nuancen abdeckt.

Ich bin immer noch ein wenig überrascht über das, was Sie sagen. Gab es denn wirklich keinen Widerstand von religiösen Gruppen gegen die feministische Literaturbewegung in Indonesien?

Es gab Widerstand von religiösen Gruppen, es gibt immer Widerstand, wenn etwas Neues passiert, aber er war nicht extrem oder zu gewalttätig. Es gab  auch Fälle von starkem Widerstand, aber nur selten. Ein Beispiel dafür ist der Film Perempuan Berkalung Sorban, der auf dem gleichnamigen Roman von Abidah El Khalieqy basiert. In Perempuan Berkalung Sorban geht es um den Widerstand von Frauen gegen die patriarchalische Kultur des Islam. Bei seinem Erscheinen wurde er von  zahlreichen islamischen Gruppen abgelehnt, sogar vom Imam der Istiqlal-Moschee in Jakarta.

Vielen Dank für dieses Interview!

Ich muss mich bei Ihnen bedanken und hinzufügen, dass meine Antworten über die indonesische Literatur eigentlich zu simpel sind, denn die indonesische Literatur ist tatsächlich sehr komplex. Außerdem gibt es viele Werke und Schriftsteller, die ebenfalls wichtig und einflussreich sind, die ich aber in meinen Antworten nicht erwähnt habe, weil ich in dieser Situation eines Interviews an meine Grenzen stoße. Es würde einen sehr langen Aufsatz erfordern, um wirklich alle und alles umfassend zu besprechen.