Eine Meerjungfrau als Braut

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Eine Meerjungfrau als Braut

Eine Geschichte aus Südafrika
Nhlanhla Maake
Bildunterschrift
Nhlanhla Maake

Es ist Sommer im globalen Norden (und Winter im globalen Süden), und im August bringt Literatur.Review beide zusammen und veröffentlicht bisher unübersetzte oder unveröffentlichte Geschichten aus dem Norden und Süden unserer Welt.

Nhlanhla Maake ist Sprachaktivist und Dozent am National Institute for the Humanities and Social Sciences (NIHSS) in Johannesburg, Südafrika. Er hat fünf Sachbücher und mehr als 20 belletristische Werke in Sesotho und Englisch, mehrere akkreditierte Artikel, Hörspiele, Studienführer, Gedichte, Polemiken und Positionspapiere sowie seine Memoiren mit dem Titel 'Barbarism in Higher Education: Once Upon a Time in a University' veröffentlicht.

Nur eine halbe Minute bevor sich die Türen schlossen, sprang er in den Schnellzug. Er war schwer bepackt mit einem Aktentrolley voller juristischer Dokumente, den er hinter sich herzog, schnaufte heftig und schwitzte. Er setzte sich gegenüber einer schlanken Frau, die ein perlmuttfarbenes Kleid trug, das an eine braune Hausschlange erinnerte. Er geriet augenblicklich in ihren Bann, wie ein Vogel, der von einer Kobra fixiert wird. Mit einem Mal witterte er die braunen Stilettos an ihren übereinander geschlagenen Beinen, das linke Knie über dem rechten, und die schlanken, von perlmuttähnlichen, hautfarbenen Strümpfen bedeckten zierlichen Füße.

Ihr Körper war leicht zum Fenster gedreht, was ihrem Halbprofil Schönheit und Würde verlieh. Als er direkt ihr gegenüber Platz nahm, nuschelte er unwillkürlich eine Begrüßungsfloskel. Sie antwortete mit einem schroffen "Hallo", als wolle sie seine Höflichkeit nicht erwidern. Er konnte nicht einschätzen, ob sie für einen Smalltalk aufgeschlossen war oder nicht. Also hielt er den Mund und schaute aus dem Fenster, während der Zug ruhig aus dem Bahnhof rollte. Die Plätze neben ihnen waren nicht besetzt, also war ein Tête-à-Tête unvermeidlich, so unangenehm es auch sein mochte.

Sein Blick wanderte nach links, wo der stattliche Bau der University of South Africa über der Stadt aufragte, als würde sie deren Betragen überwachen. Als sich der Zug in einen Tunnel bohrte, blickte er zum Fenster zu seiner Linken und starrte direkt in das Gesicht der Frau. Für ihn fuhr der Zug vorwärts, für sie rückwärts. Für einem kurzen Moment trafen sich ihre Blicke in der Spiegelung auf der Fensterscheibe. Sie schaute, ohne mit der Wimper zu zucken. Nach einer Minute schlängelte sich der Zug wieder aus dem Tunnel, und ihr Bild war verschwommen, aber immer noch da, weichgezeichnet im Licht der untergehenden Sonne. Er ließ den Blick nach unten schweifen und verschämt auf ihrem bestrumpften Knie ruhen. Als er die Augen wieder hob, landeten sie auf dem V, das den oberen Teil ihres Dekolletés seinem Blick darbot. Er zog ein Taschentuch aus der Innentasche seines Jacketts und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

Sein Blick blieb an dem goldenen Pendant mit Herz auf ihrem Dekolleté hängen, glitt seitlich über ihre linke Schulter und folgte der Kette darüber hinunter zur Handtasche, die eng an ihrem linken Oberschenkel auf dem Sitz ruhte. Als sein Blick seitlich an ihrem Körper hinab und bis zum linken Ohr wieder hinauf wanderte, entdeckte er die Miniaturversion eines Herzens, das am Ohrläppchen hing, als ob es über ein Seil in ihr Ohr zu klettern versuchte. Es funkelte im gleißenden Licht der orangeroten Sonne. Ob es aus Glas oder Diamant war, konnte er nicht ausmachen. Sie gab vor, ihn nicht zu beobachten. Offenbar genoss sie seine Schüchternheit. Denn schüchtern war er.

Während sie ihm eine Atempause gönnte, blickte sie auf das Gerät, das sie in der linken Hand hielt, und las einen Moment lang konzentriert auf dem Bildschirm. Der scharlachrote, verlängerte Fingernagel ihres Mittelfingers wischte ab und zu über den Bildschirm auf ihn zu. Er betrachtete sie, wobei es ihm unangenehm war zu wissen, dass all seine Bewegungen in ihrem peripheren Blickfeld lagen. Er öffnete die Tasche zwischen seinen Füßen und fischte eine Akte heraus. Er schlug sie auf und überflog die Notizen zum Strafverfahren des Mandanten, den er an diesem Tag vor Gericht vertreten hatte. Bagatelldelikte waren ihm lästig, aber als frisch gebackener Anwalt, der sich gerade selbstständig machen wollte, hatte er keine andere Wahl, als zunächst alles anzunehmen, was Einkommen und ein bisschen Ansehen einbrachte. Die Angelegenheit wurde teilweise verhandelt und sollte am nächsten Tag abgeschlossen werden. Der Fall war einfach, aber da er etwas brauchte, das ihn beschäftigte und ihm weniger Unbehagen bereitete, konnte es nicht schaden, dass er seine Notizen las.

Der Zug surrte auf den Schienen, wobei sein gummiartiges Schlingern über die Geschwindigkeit von 160 Stundenkilometern hinwegtäuschte. Das stumme Spiel von Beobachten und Beobachtetwerden ging weiter. Der Zug fuhr an und stoppte wieder, lud ein paar Pendler aus und ein, aber niemand störte sie, als ob ihnen alle eine Verlängerung ihres stummen Schachspiels gewährten. 
"Hi", sagte er und räusperte sich. 
"Hi", sagte sie, eher reagierend als antwortend, auf das Mobilgerät in ihrer Hand starrend und mit ihrem langen Zeigefinger über den Touchscreen wischend. 
"Fahren Sie nach Sandton oder Park Station?", fragte er nach einer unbeholfenen Pause.
"Park Station."
"Von dort."
"Nach Hause."
"Verstehe", ihre zügige Antwort machte ihn stutzig.
"Darf ich nach Ihrem Namen fragen?"
"Mermaid."
"Meerjungfrau? Aha", sagte er, als ihm die Fragen ausgingen. "Ich nehme an, Sie wurden nach jemandem in der Familie benannt? Nennen Sie Freunde Mermaid?"
"Sie kürzen es ab."
"Und nennen Sie ...?"
"Maid."
"Interessant", räusperte er sich wieder und suchte angestrengt nach der nächsten Frage und etwas Interessantem oder Witzigem, das er sagen konnte. "Ich nehme an, Sie können gut schwimmen, bei diesem Namen."
"Ich war Olympionikin. Und wie heißen Sie?", fragte sie eher abweisend.
"Oupa. Ich heiße Oupa."
"Sie wurden nach ihrem Großvater benannt."
Er wusste nicht, ob das eine Frage oder eine Feststellung war. Jetzt verstand er, wie sich Leute auf der Anklagebank fühlten, wenn er sie ins Kreuzverhör nahm oder mit einer belastenden Aussage konfrontierte.
"Sie müssen der Erstgeborene oder der älteste Junge in Ihrer Familie sein", sagte sie, ohne ihn direkt anzublicken.
"Ja", er hielt inne, "ich bin der Erstgeborene und der einzige Sohn. Was machen Sie beruflich?", versuchte er ihre Frage zu parieren.
"Ich mache nichts beruflich. Ich lebe."
"Interessant. Ich wünschte, ich könnte wie Sie sein."
"Sie meinen, eine Frau sein?"
"Nein. Ich meine einfach leben und leben lassen."
"Vielleicht können Sie mir etwas über das Leben lassen erzählen. Davon habe ich keine Ahnung."
Er fühlte sich unbeholfen. Das Gespräch ging mit lebhaften Fragen und Antworten weiter. Nach etwa zweiundvierzig Minuten rangierte der Zug in die Park Station ein. Bevor sie ausstiegen, fragte er schüchtern nach ihrer Telefonnummer. Sie diktierte sie, und er legte Wert darauf, dass er sie gleich erfasste, damit er nicht um Wiederholung bitten musste. Als er sein Mobilgerät aus der Jackentasche fischte, um die Nummer zu notieren, war sie verschwunden. Der Duft ihres Parfums und eine flüchtige Erinnerung an sie lagen noch in der Luft wie ein Hauch von Honig und Rosen. Es war, als wäre sie nie da gewesen. Es war, als hätte er eine Meerjungfrau gesehen, die ihm aus der Ferne im Meer zuwinkte und dann in den Wellen verschwand.

Am Abend rief er seine Verlobte an. Während des gesamten Gesprächs fühlte er sich innerlich leer. Er beendete das Telefonat mit der Ausrede, dass er sich intensiv auf die morgige letzte Etappe der Gerichtsverhandlung vorbereiten müsse. Bei Gericht am nächsten Tag war er nicht bei der Sache. Das Gericht entschied zu seinen Gunsten, aber es berührte ihn nicht einmal. Die Begegnung vom Vortag ging ihm nicht aus dem Kopf. Er beschloss, zur selben Zeit wie gestern wieder in den Zug zu steigen, in der Hoffnung, Mermaid wiederzusehen. Sie war nicht da. Die nächsten drei Tagen nahm er sich vor, pünktlich um 18:00 Uhr am Bahnhof zu sein. Sie war nicht da. Er hatte Zweifel, ob er die Frau wirklich gesehen hatte oder ob es eine Vision oder eine Begegnung mit einer Meerjungfrau gewesen war.

Am Samstag war er mit seiner Verlobten verabredet, um auszugehen. Er rief sie an und sie verabredeten sich in Joburg, in Maboneng, einem lebhaften Szene-Viertel mit Restaurants und guter Musik. Am Morgen duschte er schnell, zog Trainingsanzug und Turnschuhe an und fuhr die Straße hinunter zur Autowaschanlage. Während er darauf wartete, dass das Auto gewaschen und gesaugt wurde, schlenderte er umher in Gedanken an die Meerjungfrau. Er versuchte, sie zu verdrängen, aber sie war da, penetrant wie ein Moskito. Er beschloss, sie anzurufen, wobei er fürchtete, so unbeholfen zu klingen wie bei ihrer ersten Begegnung. Als sie nach einmaligem Klingeln den Anruf bereits entgegennahm, war er baff. Für einen kurzen Moment verschlug es ihm die Sprache, aber ihre Überschwänglichkeit am anderen Ende löste seine Zunge. Das Eis war gebrochen.
"Wann sehen wir uns?", fragte sie heiter.
"Nun, wie wäre es mit dem Gautrain, am Bahnhof, am Montag?"
"Wissen Sie was", sagte sie mit ihrer sanften Stimme, die seinem Ohr schmeichelte, "ich bin in etwa einer Stunde in Melrose Arch. Können wir uns dort zum Mittagessen treffen, sagen wir um Punkt 12?"
"Eh", kratzte er sich buchstäblich am Kopf, "Melrose Arch?"
"Ja, treffen wir uns am Eingang von Woolworths und sehen dann von dort aus weiter. Okay, bis später", sagte sie und legte schon auf.

Sein Herzschlag beschleunigte sich zu Herzklopfen. Er wusste nicht, in welche Richtung er gehen sollte, nach Maboneng oder Melrose Arch. In seinem Kopf spielte sich bereits subtil das Rendezvous ab, mit amorphen Figuren, die auf einem Zauberteppich tanzen; Maboneng bedeutete "Ort der Lichter" und Melrose "Rosenhonig". Als die Autowäsche beendet war, bezahlte er und gab ein Trinkgeld in Höhe des Service-Preises, aus einem plötzlichen Anfall von Freigebigkeit heraus oder wegen seines verwirrten Geisteszustandes. Er fuhr aus der Waschanlage und war entschlossen, den Inhalt und den Schluss des letzten Gesprächs zu ignorieren. Er schaltete das Radio auf volle Lautstärke, doch die Talkshow irritierte ihn, da sich einige Bemerkungen des Moderators kritisch auf Schwachpunkte seines Wesens zu beziehen schienen. Verärgert schnalzte er mit der Zunge und schaltete das Radio aus. Als er die Auffahrt zur M1 in Richtung Johannesburg Central Business District nahm, schaute er auf die digitale Zeitanzeige auf dem Armaturenbrett. Er hatte noch 40 Minuten zwischen dem ursprünglichen Termin und Mittag. Er fuhr an der Abzweigung zum CBD vorbei weiter auf der M1 Richtung Norden. Dann nahm er die Ausfahrt 20 nach Athol-Oaklands und fuhr in Richtung Oakland und Melrose. Er bog nach rechts in den Melrose Boulevard, in die High Street und fuhr nach Melrose Arch. Wie von selbst schien das Fahrzeug die Kontrolle über die Richtung übernommen zu haben. Er fand eine Tiefgarage und ging hinauf zum Einkaufszentrum.

Nervös ging er auf und ab und mehrmals am Eingang von Woolworths vorbei. Er schaute immer wieder auf die Zeitanzeige auf seinem Handy. Noch etwa eine halbe Stunde hatte er bis zur erwarteten Ankunft. Er wiederholte seine Entschuldigung. "Es tut mir leid, dass ich schnell nach Hause muss. Ich habe einen dringenden Anruf von meiner Mutter in Soweto erhalten ...", doch bevor er es zum x-ten Mal zu Ende sprechen konnte, legten sich von hinten sanft Hände auf seine Augen. Der vertraute Rosenduft kribbelte köstlich in seiner Nase. Mit ihren weichen Händen bog sie vorsichtig seinen Kopf zu sich und rief mit lieblich hoher Stimme: "Ich hab dich!" Als sie ihre Hände von seinen Augen löste, starrte er auf ihre samtbraune Haut. Sie war gestylt mit einer dicken Schicht Make-up, verlängerten Wimpern und scharlachrotem Lippenstift. Bevor er wieder zu sich kam, drückte sie ihm sanft, aber bestimmt einen Kuss auf die Lippen. Er fühlte sich an und schmeckte wie reife Pflaume oder Honig. Noch nie in seinem Leben hatte er so viele Freuden gleichzeitig genossen.

Als er nach Hause fuhr, hatte er immer noch den süßen Nachgeschmack dieses genussvollen Mittagessens im Mund. Seine Nase war verkatert von Rosen- und Honigduft. Es spielte keine Rolle, dass er durch die Rechnung für das Vier-Gänge-Menü beinahe sein Konto überzogen hätte. Ihn irritierte lediglich, dass die Freude an diesem Tag durch das Ersinnen einer Entschuldigung für seine Verlobte getrübt werden könnte. Kaum hatte er den Wagen vor seiner Wohnung in Ormonde abgestellt, hatte er seiner Mutter bereits eine Reihe von Rollen in dem sich neu entwickelnden Plot zugeschrieben. Erst am nächsten Tag hatte er den Mut, anzurufen. Bis dahin war der Plan bereits gut einstudiert, und seine Mutter kannte gut ihren Text. Als er das zweite Mal die Verabredung verpasste, dienten ihm im Telefonat die Einkäufe für seine Mutter als Alibi. Beim dritten Mal waren seine Lügen weniger überzeugend als beim ersten und zweiten Mal.

Und so wiederholte sich diese Geschichte wie sich Geschichte wiederholt – bis er eines Morgens vom Lügen genug hatte. Also stand er ein für alle Mal seinen Mann und schickte ihr eine SMS, dass er nicht mehr an ihr interessiert sei. Wobei er nicht den Mut hatte, zuzugeben, dass er eine Bessere gefunden hatte, sondern nur, dass er einfach etwas Freiraum zur Selbstfindung brauche. Vier Jahre Uni-Romanze waren den Bach hinunter, gleich Müll, der von heftigen Regenschauern von der Straße in den Rinnstein gespült wird, ohne Bedauern, ohne Skrupel.

An diesem Wochenende fuhr er zu seinen Eltern nach Meadowlands, um ihnen die Trennung von seiner Verlobten zu eröffnen.
"Warum, Oupa, warum nur?", fragte seine Mutter unter Tränen.
"Ich weiß nicht, Mutter, ich fühle einfach, dass wir nicht füreinander bestimmt sind."
"Seit wann spürst du das denn?"
"Weiß ich nicht."
"Was soll das denn heißen..."
"Nein, Mutter", unterbrach sein Vater die alte Dame sanft. "Wenn ein Mann eine neue Liebe gefunden hat, hat es keinen Sinn, ihn wegen des Zeitpunkts und all dem Kram anzuklagen. Er spürt es in seinem Innersten. "Hier", er tippte mit dem Mittelfinger auf seinen schlaffen Bauch, "hier. Wann spielt keine Rolle."
Die Debatte ging weiter, bis sie schließlich aufgab und sich mit dem, was sie für den Wahnsinn ihres Sohnes hielt, abfand. Beim Tee ging es weniger heiter zu als sonst, und er ging früher als sonst. Als er zu seiner Wohnung zurückfuhr, war ihm das Herz in der Brust schwer wie eine Hantel. In der Nacht wälzte er sich im Bett hin und her und tat kein Auge zu. Tagelang spukten ihm die beiden Gesichter immer wieder durch den Kopf – Lichter und Honig und Rosen, die um die Vorherrschaft wetteiferten, doch die Meerjungfrau behielt die Oberhand. Sie wogte sanft auf den schäumenden Wellen und winkte ihm zu, wie Andersens kleine Meerjungfrau. Langsam, aber sicher wurde die Geliebte, mit der er vier Jahre zusammen gewesen war, unwiederbringlich von der neuen Meerjungfrau verdrängt, die er inzwischen 'meine Gefährtin' zu nennen pflegte.

Die Zeit vergeht wie im Flug, vor allem, wenn viele Meilensteine vor einem liegen. Er siegte in mehreren Strafverfahren, schaffte es, dass seine Eltern seiner neuen Geliebten in Naledi einen Besuch abstatteten, um "eine Kalebasse mit Wasser zu erbitten", wie der Verlobungsantrag in der Sesotho-Kultur genannt wird. Als alle traditionell vorgegebenen Vorbereitungen abgeschlossen waren, wurde der Termin für eine Hochzeit in Weiß festgelegt, die in zwölf Monaten stattfinden sollte. In der Zwischenzeit zog sie bei ihm ein. Sie teilten sich seine Wohnung mit zwei Schlafzimmern. Ihr Leben war glücklich, und es sah so aus, als ob sie nach der großen Hochzeitsfeier ewiglich glücklich sein würden.

Einen Monat vor dem Hochzeitswochenende und den Flitterwochen veranstalteten sie eine große Party im Gemeinschaftsgarten ihrer Wohnanlage. Freunde kamen von nah und fern, und es wurden keine Kosten und Mühen gescheut, um die Freitag- und Samstagnacht zu einem Fest der Superlative werden zu lassen. Am Sonntag war das Paar erschöpft. Als er aufstand, um zur Arbeit zu gehen, sagte sie, sie nehme sich einen Tag frei. Er ging aus dem Haus, noch immer in Wochenendparty-Stimmung, aber recht schlapp. Er konnte es kaum erwarten, wieder in den Zug nach Hause zu steigen, sich in ihre geschmeidigen Hände fallen zu lassen, zu genießen, dass sie sein Gesicht mit zärtlichen Küssen bedeckte, ihn unter seinen Armen kitzelte und am ganzen Körper. Sie waren füreinander bestimmt. Sie war die fehlende Rippe, die Adam verloren und bei der Erschaffung Evas wiedergewonnen hatte, seine Erfüllung.

Nach der Verhandlung eines Falls, bei dem ein Mann seine Frau erstochen hatte, fuhr er müde mit dem Gautrain nach Hause. Er drehte den Schlüssel im Schlüsselloch herum und erwartete, mit dem üblichen Lachen und einer kräftigen Umarmung begrüßt zu werden. Im Flur war niemand. Dass an der rechten Wand der Spiegel fehlte, bemerkte er nicht. Er trat ein und erwartete, dass sie ihn überraschen würde. Dass der persische Läufer auf dem Boden fehlte, sah er auch nicht. Er ging in das offen gestaltete Wohnzimmer und musste mehrmals hinsehen, um die Leere zu begreifen. Seine Schritte hallten auf dem Boden der ausgeräumten Wohnung wider. Die ganze Wohnung war so blank wie die Armut. Als ihm der Ernst der Lage klar wurde, ging er von Tür zu Tür und erkundigte sich bei den Nachbarn, ob sie tagsüber etwas gesehen hatten. Gesehen hatte niemand etwas. Er fuhr zu seinen Eltern nach Hause, um ihnen zu erzählen, was passiert war. Zunächst dachten sie, er wolle sie auf den Arm nehmen. Die Wahrheit dämmerte ihnen allerdings, als sie merkten, wie verzweifelt er war, dem Zusammenbruch nahe. Sie riefen andere Verwandte an.

Am Samstagmorgen fuhren Oupa, sein Vater, zwei Onkel und eine Tante nach Naledi, um sich nach dem Verbleib der Schwiegertochter zu erkundigen. Als sie an der Adresse ankamen, die sie bereits zweimal aufgesucht hatten, um das Heiraten zu beschließen, wurden sie von Menschen empfangen, die sie noch nie zuvor gesehen hatten. Sie waren fassungslos, und die Aufgesuchten ebenso, dass unangemeldet Fremde auftauchten.
"Wir sind gekommen, um mit den Eltern des Mädchens zu sprechen", verkündete einer der Onkel, als sie sich auf den Stühlen im Wohnzimmer niedergelassen hatten.
"Mermaid", sagte der Mann fragend und sah die Frau an, die seine Frau zu sein schien. Er zuckte die Achseln.
"Ja, Meerjungfrau", antwortete Onkel Moss.
"Eine Meerjungfrau?"
"Nicht eine Meerjungfrau. Mermaid."
"Ich habe noch nie von einer Person namens Mermaid gehört", lachte der Mann schallend, und seine Frau fiel ein. Sie lachten und lachten, während die Besucher sich immer wieder fragend ansahen.
"Wir sind nicht hier, um ausgelacht zu werden. Wir finden daran gar nichts lustig", sagte Onkel Moss, der seine Gereiztheit nicht verhehlen konnte.
"Was wollen Sie damit sagen? Ist es nicht lustig ...", der Mann brach in Gelächter aus. Als er sein Lachen unter Kontrolle hatte, sagte er: "Ich habe noch nie von jemandem gehört, der Mermaid oder Watermuis heißt. In diesem Haus trägt niemand diesen Namen. Wie heißt sie noch?"
"Wie ist ihr anderer Name, Channie?", fragte der Onkel Oupa.
"Wir haben sie Mmatefo genannt, das ist ihr Ehename - bitso la bongwetsi", antwortete der Vater.
"Solche Namen gibt es hier nicht. Wie ist ihr richtiger Name?", beharrte der Mann.
"Maid", antwortete Thabo, "ich nenne sie 'meine Gefährtin'."
"Deine Maid?" Der Mann lächelte. "Du bist wirklich witzig, Mann!"
Nach einer Pause brachen der Mann und die Frau in schallendes Gelächter aus.
"Wir sind nicht hier, um verhöhnt zu werden", tadelte sie Onkel Moss.
Der Mann hörte plötzlich auf zu lachen, als hätte man eine Maschine abgestellt, und röhrte donnernd, passend zu seiner kräftigen Statur: "Ihr kommt nicht hierher und redet in Anwesenheit meiner Frau so mit mir. Wir halten hier keine Meerjungfrauen. Gehen Sie, und suchen Sie dort unten im See nach einer", wobei er in eine beliebige Richtung fuchtelte.
"Rede mit Gästen bitte nicht so, Ntate", bat ihn die Frau.
"Wie kann ich nicht so mit ihnen reden, wenn sie darauf bestehen, dass es hier eine Meerjungfrau gibt! Heh! Habt ihr hier eine Meerjungfrau gesehen?"
"Aber wir sind hierhergekommen, um um die Hand eurer Tochter anzuhalten", erklärte der schweigsame Onkel.
"Wir haben keine Tochter, nur zwei Söhne, und die leben nicht hier. Wir sind hier nur zu zweit."
"Aber wir sind  doch hierher gekommen..."
"Noch nie habe ich euch hier gesehen. Mit wem habt ihr denn gesprochen?"
"Es waren Leute da, als wir herkamen. Wir waren zweimal hier."
"Heißt das etwa, wir sind keine Leute?"
"So habe ich das nicht gemeint ..."
"Ich kann mich nicht erinnern, euch hier gesehen zu haben", dröhnte der Mann.

Nach einiger Zeit dämmerte es den Gästen plötzlich, dass die Inneneinrichtung des Hauses nicht mehr dieselbe war. Die Möbel und ihre Anordnung waren anders. Nichts erinnerte mehr an das, was sie bei den beiden früheren Besuchen in dem Haus gesehen hatten. Es lag zwar ein Hauch von Honig und Rosen in der Luft, den nur Oupa wahrnehmen konnte, aber er war sich nicht sicher, ob nicht seine Fantasie mit ihm durchging.
"Wie lautet die Adresse dieses Hauses?", fragte Onkel Moss, jetzt ruhiger als zuvor.
"Banna, Vater und du, Mme, Mutter, erkennt ihr das Haus, in dem ihr die Meerjungfrau gesehen habt?"
Sie waren verwirrt und dachten, sie seien ins falsche Haus gekommen. Aber das konnte doch nicht sein.
"Geht jetzt, ihr werdet euch schon zurechtfinden. Ihr werdet eure Meerjungfrau schon finden. Aber sicher nicht hier. Als ihr gekommen seid, wollten wir gerade aufbrechen und unsere Tochter in Sandton besuchen. Wir würden jetzt gerne aufbrechen."

Alle standen auf, und die Besucher verließen als erste das Haus. Sie gingen unter der Wäsche, die zum Trocknen auf der Leine hing, hindurch und niedergeschlagen zu ihrem Auto. Für den Bruchteil eines Augenblicks glaubte Oupa, zwischen den Kleidern ein perlmuttfarbenes Kleid zu sehen, aber das Bild, wenn es denn real war, war augenblicklich wieder verschwunden. Sie standen vor dem Hof und sahen sich die Häuser in der Nachbarschaft an. Sie waren sich hundertprozentig sicher, dass sie im richtigen Haus gewesen waren, auch wenn sie drinnen hatten nichts erkennen können.
"Mein Sohn, ich glaube, wir fahren besser nach Hause und denken mal genauer über deine Meerjungfrau nach. Bist du dir sicher, dass sie eine Person aus Fleisch und Blut war?"
Als ihr Auto Naledi verließ, wunderten sich alle weiter, bis Onkel Moss fragte.
"Übrigens, als wir hierherkamen, wie sagten sie, dass ihr Nachname war?"
"Ledimo, sagten sie", antwortete Oupas Vater.
"Ich erinnere mich, dass ich sagte, es sei ein seltsamer Nachname", sagte die Tante. "Es war das erste Mal, dass ich einen solchen Nachnamen hörte, das habe ich sicher gesagt."
"Ja, du hast sogar gesagt, dass Ledimo dich an Dimo aus dem Sesotho-Volksmärchen 'Tselane le Dimo' erinnert", sagte der schweigsame Onkel.
"Und als ich gelacht habe, hast du gesagt, ich würde mich über die Nachnamen der Leute lustig machen? Wie kann eine Person Mermaid heißen und einen Nachnamen wie 'Oger', 'Drachen' haben?"
"Sohn", sagte die Tante, "wo hast du diese Frau denn kennengelernt, in einem Schwimmbad?" Sie brach in Gelächter aus und konnte nicht einhalten, bis sie wieder zu Hause waren.

Oupa war sich nicht mehr sicher, ob er mit einem menschlichen Wesen oder einer sagenumwobenen Frauengestalt zusammengelebt hatte, aber ihr Duft lag noch immer in der Luft.