Das Leck stopfen

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Das Leck stopfen

Eine Geschichte aus Indien - übersetzt aus dem Gujarati ins Englische von Aban Mukherji und Tulsi Vatsal
Ghanshyam Desai

Es ist Sommer im globalen Norden (und Winter im globalen Süden), und im August bringt Literatur.Review beide zusammen und veröffentlicht bisher unübersetzte oder unveröffentlichte Geschichten aus dem Norden und Süden unserer Welt.

Ghanshyam Desai (1934-2010) war ein modernistischer, experimenteller Kurzgeschichtenautor. Geboren und aufgewachsen ist er in dem kleinen Fürstentum Devgadh-Baria, das heute zu Gujarat gehört. 

Das ist mein Vater, der nach Hause kommt, da bin ich mir sicher. Diese gedrungene Gestalt am Lagerhaus? Ja, das ist er - mit nacktem Oberkörper und schwarzer Mütze. Er war an diesem Morgen weggegangen und hatte uns befohlen, auf den Laden aufzupassen. Was für ein Geschäft kann man mit so einer Einstellung schon erwarten? Wahrscheinlich war er zu Ismail gegangen, um eine Zigarette zu rauchen. Ba grummelte: "Ist dieser Ismail der einzige Freund, den er gefunden hat? Der Mann ist doch gerade erst aus dem Knast gekommen! Entweder Ganja oder Kartenspielen, den ganzen lieben Tag lang!'
So war es, tagein, tagaus. Ba und Bapuji kommen überhaupt nicht miteinander aus. Ich weiß nicht, wann es anfing, aber seit ich denken kann, gingen sie sich immer an die Gurgel. Meistens hat er sie verprügelt, als ob er Getreide dreschen würde. Meine Mutter weinte, protestierte und schimpfte. Das würde weitere Schläge nach sich ziehen. Ich würde mich auf die Seite meiner Mutter stellen. Nicht offen natürlich, aber in meinem Herzen. Ich bin sehr jung und nicht sehr stark, während mein Vater wie ein Rakshas gebaut ist. Ein Schlag und er kann eine Mauer einreißen. Ich hatte schreckliche Angst vor ihm. Ich saß meist still in einer Ecke, aber als ich älter wurde, kam auch ich an die Reihe.
Bapu hat einen Lebensmittelladen. Vorne der Laden, hinten unsere Wohnräume. In unserem Dorf wurden die Häuser ohne jeglichen Plan gebaut und bestanden im Allgemeinen aus sieben oder acht Zimmern, die in einer geraden Linie angeordnet waren, eines führte zum anderen. Wenn man von außen hineinschaute, sah man halboffene Getreidesäcke, Fliegen, die über eisernen Behältern mit Jaggery summten, mit Datteln gefüllte Rohrkörbe, eine Waage, die mit schweren Gewichten beschwert war; die Schaukel im ersten Zimmer; das Bett im mittleren Zimmer; die schattenhafte Gestalt meiner Mutter in der Küche; die Bohnenranke, die sich auf dem Holzgerüst im Hinterhof hinaufrankte, und daneben einen Schuppen aus Bambus, wo man sich waschen und baden konnte. Wie ein Spatz, der regelmäßig in sein Nest flattert, kam mein Vater hierher, um zu pinkeln.
Ba sagte: "Dein Vater hat zwei schlechte Angewohnheiten: Er trinkt alle fünfzehn Minuten eine Tasse heißen Tee dhag-dhag und pinkelt ihn in weiteren fünfzehn Minuten dhag-dhag wieder aus."
Dies war eine unglückliche Angewohnheit meiner Mutter. Wenn sie einmal loslegte, konnte sie nicht mehr aufhören. Und das auch noch vor meinem Vater! Selbst wenn sie geschlagen wurde, vermischte sich ihr Heulen steht mit ihren Flüchen.
Wohin ist Bapa schon wieder verschwunden? Eben sah ich ihn noch an Nannu Paanwalas Laden vorbeigehen, er schwankte wie ein Elefant hin und her, hielt sich am Saum seines Dhoti fest und versprühte Paan-Spritzer. Er muss irgendwo in der Nähe umherwandern. Wenn wir Glück haben, ist er vielleicht zu Ramans Stand gegangen, um eine Tasse Tee zu trinken. Wenn er zurückkommt, wird er garantiert eine Ausrede finden, um eine Schlägerei anzufangen.
"Sein Haus gleicht einem Kriegsgebiet", sagen die Leute. Ständig finden dort Kämpfe statt. Wie sollte die Göttin Lakshmi jemals so ein Haus betreten?' Die Wurzel des Konflikts meiner Eltern dreht sich um Reichtum. Ba stammte aus einer wohlhabenden Familie. Sie wurde verheiratet, als sie noch in der Wiege lag. Als sie heiratete, war auch ihr Mann wohlhabend. Bald darauf begann der Niedergang. Alle fünf Häuser, die sie besaßen, wurden verkauft. Ich habe gehört, dass sie auch das größte Juweliergeschäft des Dorfes besaßen und gezwungen waren, es zu verkaufen. Bapa versuchte sich daraufhin an verschiedenen Unternehmungen, hatte aber mit keiner von ihnen Erfolg. Ein Astrologe riet ihm, mit roten Farben zu handeln, und so begann er ein Geschäft mit getrockneten roten Chilis. Das einzige Ergebnis war ein nagender Brand in der Brust aller Familienmitglieder. Ein anderer Astrologe prophezeite ihm, dass der Handel mit flüssigen Gegenständen seine Kassen mit Goldziegeln füllen würde, und so begann er, gepanschtes Ghee und Öl zu verkaufen. Nichts änderte sich. Das Kapital der Familie verschwand allmählich. Schließlich, als das Geld kaum noch für Lebensmittel reichte, eröffnete er einen Lebensmittelladen. Wenn man das Getreide nicht verkaufen konnte, konnte man es wenigstens essen...
So hatten sich für meine Mutter die Erwartungen eines reichen Mädchens an eine solide Ehe so ganz und gar nicht erfüllt; stattdessen war sie gezwungen, ihren Schmuck zu verkaufen. Sie protestierte vehement, aber es gab keine andere Möglichkeit. Wenn er nur seine Freundschaft mit Ismail und seine Teesucht aufgeben würde, dann wäre unser Haushalt wieder auf den Beinen", klagte sie täglich.
Bapa brüllte: "Lass mich in Ruhe, Frau! Du hast das Unglück gebracht, als du das Haus betreten hast! Was kann ich dagegen tun? Ich renne herum wie ein tollwütiger Hund, aber nichts gelingt.'
Ba war von den Gewohnheiten meines Vaters angewidert. Sie hatte bis spät in die Nacht hinein alle vier Teile von Chandrakant gelesen und die Sticheleien ihrer Schwiegermutter ertragen, um Yoginikumari zu Ende zu lesen. Sie liebte es zu lesen. Sie kannte den Ramayan und die Mahabharat auswendig, und wenn sie nichts anderes in die Hand nehmen konnte, las sie die Zeitungsumschläge von Paketen.
Das erzürnte Bapa. 'Du hältst dich also für eine große Gelehrte, ja? Lesen, die ganze Zeit lesen! Ist das nicht alles, was du schon immer tun wolltest?', knurrte er und schlug ihr kräftig in den Rücken.'
'Ja, und ich hätte es auch weiterhin getan, wenn ich nicht deine Kinder zur Welt bringen müsste!' antwortete Ba verbittert. Ihre Liebe zum Lesen, ihre Interessen, ihr einfaches Wesen - alles war nach ihrer Heirat verschwunden.
Und war es ein Wunder, dass sie so verbittert war? Was hatte sie alles ertragen müssen! Sie hatte vier Fehlgeburten erlitten. Der erste Fötus war ein zweiköpfiges, dreiäugiges Ungeheuer. Ba überlebte diese Zeit nur knapp. Der Regierungsarzt hatte die Hoffnung aufgegeben, aber sie überlebte irgendwie. Später wünschte sie sich oft, sie hätte es nicht getan.
Ihr ältester überlebender Sohn war zurückhaltend und gehorsam. Er saß unbeweglich da, wo man ihn hinstellte. Mit seinen schmalen, schrägen Augen beobachtete er schweigend die Auseinandersetzungen, Kämpfe und Schläge. Allerhöchstens drehte er den Kopf weg. Ba sagte: "Siehst du, wie glücklich mein Mota aussieht, wenn ich ihn auf meinen Schoß nehme und ihn mit einem Stück Jaggery füttere? Er streichelt mein Gesicht, als ob er meinen Schmerz versteht!'
Als Mota noch klein war, wurde auch er oft verprügelt. Aber als er älter wurde, wollte er das nicht mehr hinnehmen. Als er dreizehn oder vierzehn Jahre alt war, lief er von zu Hause weg. Wir suchten überall, erstatteten Anzeige bei der Polizei und baten sogar die eigenen Verwandten um Hilfe. Aber vergeblich.
Ba erinnerte sich: 'Mein Junge hatte so eine zarte Haut. Wäre er nur ein paar Jahre länger geblieben, wäre er stark genug gewesen, um die Schläge seines Vaters zu erwidern. Er war schon so groß und gut gebaut. Er wäre mir eine solche Stütze gewesen!' Sie dachte ständig an ihren ältesten Sohn. Bei jedem festlichen Anlass oder wenn etwas Besonderes gekocht wurde, seufzte sie: 'Wenn er doch nur da wäre ...'. Und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Oft spüre ich Motas Anwesenheit neben mir. Er spricht mit mir. Seine schmalen Augen blicken mich aufmerksam an. Er streichelt mein Gesicht. Ich sage zu ihm: 'Warum musstest du denn nur weglaufen? Zusammen hätten wir Ba beschützen können. Wir hätten Bapa in die Schranken gewiesen.' Er ist oft den Tränen nahe. Dann schüttelt er den Kopf und hebt die Hand, um mich zu beschwichtigen. Ich antworte: "Mach dir nicht so viele Sorgen, Mota. Ich bin doch hier, oder nicht? Lass mich nur ein wenig älter werden und anfangen, Geld zu verdienen, dann wirst du sehen, wie gut ich für dich sorge. Ich werde nicht zulassen, dass er dir ein Haar krümmt.'
Ba umarmt mich oft und sagt: 'Sohn, du bist meine einzige Stütze. Und um die Wahrheit zu sagen, nur deshalb ertrage ich Bapas Grausamkeit. Sonst wäre ich Mota schon längst gefolgt.'
Wenn Ba es nicht mehr aushält, sagt sie: 'Holt mich aus dieser Hölle heraus. Ich kann das nicht mehr ertragen.'
Aber diese Hölle ist wie ein Sumpf. Je mehr man versucht, aus ihr herauszukommen, desto mehr saugt sie einen auf. Und ich habe nicht die Kraft, mich herauszuziehen. Meine Hilflosigkeit macht mich wütend. Ich kann nicht stillschweigend zusehen, so wie Mota es immer gemacht hat. Ich hätte Lust, ein Fünf-Siebener-Gewicht zu nehmen und Bapa den Kopf damit einzuschlagen. Aber dazu fehlt mir der Mut. Und ich bin einfach zu klein.
Sieh mal, mein Vater scheint nach Hause zu kommen. Seinem Gang nach zu urteilen, scheint er in schlechter Stimmung zu sein. Wenn ihm jemand über den Weg läuft, hat er die Nase voll.
Bapa stieg die Stufen zum Laden hinauf. 'Beweg deinen Arsch', schrie er und packte mich an der Hand, um mich aus dem Weg zu schleudern.
'Oh, ho, sieh dir nur den Eroberer der Welt an, Sikandar der Große persönlich!' Ba begrüßte ihn.
Mit vor Wut geröteten Augen packte Bapa sie am Hals und schlug ihr zwei- oder dreimal in den Rücken. Etwas in mir zerbrach. Von Wut verzehrt, verlor ich jede Kontrolle über mich. Ich warf einen Getreidesack um und sprang auf ihn. 'Warum schlägst du sie?' Ich schrie. 'Lass meine Mutter los, lass los!'
Als mein Vater sah, wie ich auf dem Sack herumtrampelte, ließ er Ba los. Er stand keuchend auf und starrte mich an. Er griff nach meinem Ohr und drehte es fest herum. Als ich versuchte, mich aus seinem Griff zu winden, stürzten wir beide auf den Sack. Er stieß meine Hand zur Seite und schlug mir auf den Kopf. Alles wurde dunkel und ehe ich mich versah, landete ein heftiger Tritt auf meiner Hüfte und ich krümmte mich vor Schmerz. Ich wollte schreien, ich wollte, dass die ganze Welt mich heulen hörte, aber kein Laut wollte meine Kehle verlassen. Schließlich ließ der Schmerz nach. Als ich aufblickte, sah ich meinen Vater, der langsam von einem dunklen Raum zum nächsten ging. Er kommt an der Schaukel vorbei, kratzt sich am Kopf und betritt die Küche. 'Etwas Tee', befiehlt er, während er sich unsicher auf seine Fersen setzt. Er gießt den heißen Tee in die Untertasse und schlürft ihn geräuschvoll hinunter. Ich weiß nicht, warum, aber ich kann das Geräusch nicht ertragen. Mich überkommt ein Anflug von Ekel vor meinem Vater, vor seiner hemmungslosen Gewalttätigkeit, vor seinem Laden, vor der Art, wie er auf seinen Hüften sitzt und endlos Tee schlürft, vor dem Bambusschuppen, in den er immer wieder zum Pissen geht. Bapa stand auf und machte sich mit seinem Dhoti auf den Weg zum Bambusschuppen.
Plötzlich bemerkte ich, dass Mota an meiner Seite stand. Hast du gesehen, wie Bapa uns verprügelt hat? Hast du das? Er hat seinen Tee getrunken, dhag-dhag, und ist jetzt zum Pinkeln gegangen, dhag-dhag', sagte ich.
Motas kleine Augen leuchteten vor Lachen. Wie er lachte. Ich stand hier, hatte überall Striemen, mein Körper brannte vor Schmerz, und Mota konnte nur lachen? Als ob er mich aufklären wollte, sagte er: 'Hey, Kleiner, warum löten wir nicht einfach sein undichtes Rohr zu?' Wir haben uns beide vor Lachen gedreht. 'Oh, das wird ein Spaß! Wie er hüpfen, hüpfen, hüpfen wird!'
Wir konnten einfach nicht aufhören zu lachen. Und während wir lachten, glitt eine einzelne Träne über meine Wange bis auf meine Zunge. Zurück blieb der Geschmack von Salz, der meinen ganzen Mund auszufüllen schien. 

(Aus dem Englischen übersetzt von Axel Timo Purr)


Glossar 
Raksha: Dämon 
Ba, Bapa: Gujarati für Mutter und Vater  
Jaggery: Unfraffinierter Rohrzucker
Dhag dhag: Für Schnell, schnell. Es impliziert Kraft und brennende Hitze.

Über das Buch 
Die hier veröffentlichte Kurzgeschichte erschien 1977 in Ghanshyam Desais Kurzgeschichtensammlung Tolu, die im Rahmen der Ratna Translation Series  2024 zum ersten Mal in englischer Übersetzung erscheinen wird. Wir danken dem Verlag und den Übersetzerinnen für die Rechte an diesem Vorabdruck.

Über die Übersetzer 
Aban Mukherji ist freiberufliche Schriftstellerin und Übersetzerin. Sie hat einen Master-Abschluss in Geschichte. 
Tulsi Vatsal, eine Absolventin der Universität Oxford, ist eine unabhängige Forscherin, Autorin und Herausgeberin. Mukjerji und Vatsal haben eine Reihe von Büchern aus dem Gujarati ins Englische übersetzt. Ihre Übersetzung von Dukhi Dadiba and the Irony of Fate wurde für den Valley of Words Übersetzungspreis nominiert.