Unsere Liebe Frau der Nacht
María Ignacia Schulz ist eine afro-kolumbianisch-deutsche Autorin und Übersetzerin. Ihr Forschungsinteresse gilt der hispanoamerikanischen afrokaribischen Literatur und dem schwarzen und afrokaribischen Feminismus.
In den letzten zwei Jahrzehnten sind in der hispanoamerikanischen Karibik immer mehr literarische Werke Schwarzer Frauen entstanden, in denen der rassifizierte Schwarze Frauenkörper im Mittelpunkt der Erzählungen steht. Diese Narrative laufen den herrschenden hegemonialen Diskursen über die symbolische Konstruktion des Weiblichen zuwider. Die Autorinnen bieten Alternativen der Annäherung an den Körper, die über den exotischen oder sexualisierten Diskurs hinausgehen, indem sie dem Körper eine Handlungsfähigkeit zurückgeben, die ihm durch Jahrhunderte der Versklavung und Kolonialisierung verwehrt worden war. Indem sie den Körper ins Zentrum ihrer literarischen Entwürfe stellen, zeigen sie die Auswirkungen der Marginalisierung und Enteignung auf, denen diese Körper ausgesetzt waren, und machen ihn gleichzeitig zu einem Raum des Widerstands, des Kampfes und der Proklamation neuer Wege, ihn zu verstehen. Die Erzählung des Schwarzen Körpers im hispanisch-karibischen Raum, der von Sklaverei und Kolonialisierung geprägt ist, die Körper zu bloßen Tauschobjekten machten, ist von unvergleichlich befreiender Kraft.
Mayra Santos-Febres | Nuestra Señora de la noche (Spanisch) | Rayo | 368 | Seiten | 14,99 USD
Eine der Autorinnen, die die Erfahrungen und Spuren des Schwarzen Körpers diskursiv am konsequentesten sichtbar macht, ist die Puertoricanerin Mayra Santos Febres (1966). Santos Febres zählt zu den bedeutendsten Schriftstellerinnen, Akademikerinnen und Intellektuellen auf der Insel Puerto Rico. In Santos Febres' Werk führt die Wahrnehmung des Körpers, der zunächst marginal und dann in einem peripheren Raum angesiedelt ist, zur Entwicklung von Strategien, die es ermöglichen, die Machtverhältnisse, die ihn ausschließlich zum Objekt der Begierde machen, zu verändern und neu zu definieren. Rassifizierte weibliche Körper lernen, wie sie ihre Sexualität steuern und spielerisch einsetzen können, um ihre Ziele zu erreichen. Sie lernen auch, patriarchale Codes zu unterlaufen, um sie mit alternativen Bedeutungen zu füllen. Dadurch dass der Schwarze Körper explizit benannt und folglich der Diskurs des Exotischen dekonstruiert wird, wird dieser Körper wieder als Zentrum des Widerstands in der Literatur verortet. Dies zeigt sich in einer der emblematischsten Passagen des Romans Unsere Frau der Nacht (2006), in der Isabel Luberza Oppenheimer, die Hauptfigur des Werks, ihren ersten Auftritt hat. Isabel ist die Besitzerin des größten und mächtigsten Bordells der Region, in der die herrschende politische Klasse und die Männer der High Society ein und aus gehen. In besagter Szene steigt Isabel aus dem Auto, das sie zur Gala im angesehensten Gesellschaftsclub von Puerto Rico bringt, einem Ort, der ausschließlich der Elite von Ponce vorbehalten ist.
Mayra Santos-Febres | Our Lady of the Night (Englisch) | Kindle | 370 Seiten | 9,99 USD
Die Reaktion, die durch die Anwesenheit eines Schwarzen Körpers in einem Raum weißer Privilegien hervorgerufen wird, zeigt sich in der Verblüffung des Pagen, der Isabel Luberza die Hand reichen muss, um ihr aus dem Auto zu helfen. Sein Blick schweift langsam über ihre Arme und ihren ganzen Körper und stellt mit Erstaunen fest, dass es sich hier um den Körper einer Schwarzen Frau handelt. Die Tatsache, dass er sich wundert, zeigt, dass der Auftritt dieser Protagonistin nicht vollständig akzeptiert wird. Ihr Erscheinen gleicht einem Akt der Rebellion und der Ermächtigung, wenn man den Zustand der Unterdrückung berücksichtigt, dem die versklavten Schwarzen Frauen ausgeliefert waren und die sie an jeder Ausübung von Autonomie über ihren Körper hinderte. Sowohl die Sexualität als auch die Fortpflanzung wurden von den weißen Herren kontrolliert.
Der erzählerische Widerstand von Mayra Santos Febres beruht zum einen auf der Darstellung komplexer, widersprüchlicher, gebrochener rassifizierter Frauenfiguren. Charaktere, die jeglichen Exotismus oder eine phantomhafte diskursive Existenz ablehnen. Sie arbeitet eine Erzählung aus, die eine andere und kontinuierlich im Aufbau begriffene Handlungsfähigkeit weiblicher Körper verkündet – eine Selbstpositionierung, die nicht normativ von Außen vorgegeben ist. Ihre weiblichen Figuren lernen, die räumlichen und sozial konstruierten Grenzbereiche zu überschreiten, und selbst wenn es ihnen nicht gelingt, sie zu beseitigen, gelingt es ihnen doch, sie mit Schlupflöchern zu durchsetzen (wie in Szenen wie dem verstörenden Erscheinen der Schwarzen Frau im oben erwähnten Club oder der einer Liebhaberin, die unumwunden kundtut, worin ihr sexuelles Vergnügen besteht).
Der große Beitrag von rassifizierten lateinamerikanischen und karibischen Schriftstellerinnen, darunter Mayra Santos Febres, besteht darin, die Erfahrung und Geschichte so vieler anderer Frauen, die aus der Literatur verbannt oder ausgelöscht wurden, zurückzuholen und neu zu schreiben. Wir schlagen vor, diese Geste der Wiedergewinnung als "narrative Cimarronaje" zu bezeichnen, um in Verbindung mit der schwarzen Geschichte der Karibik den libertären Charakter der zeitgenössischen afrokaribischen Literatur zu betonen, die von rassifizierten Frauen geschrieben wurde. Der Vorschlag, von einer "narrativen Cimarronaje" zu sprechen – zunächst mit der literarischen Produktion afrikanischstämmiger Schriftstellerinnen aus der spanischsprachigen Karibik in Verbindung gebracht – soll sich aber nicht ausschließlich darauf konzentrieren, da es auch Texte aus der anglophonen und frankophonen Karibik gibt, die aufgrund ihres Anspruchs und ihrer Charakteristika durchaus unter diese Cimarronaje (oder Marronage) fallen könnten: das Werk von Jamaica Kincaid oder Maryse Condé wären Beispiele dafür. Santos Febres' Roman schlägt neue Lesarten der rassifizierten Körper vor und der von ihnen postulierten Handlungsoptionen: Ausgangspunkte für ihre Akte des Widerstands.
*Dieser Artikel stellt einen der zentralen Aspekte dar, die ich im Rahmen meiner Masterarbeit für den Abschluss Master in Advanced Studies in spanischer und lateinamerikanischer Literatur an der Internationalen Universität von La Rioja bearbeitet habe. Hier entwickle ich das Konzept neuer Schwarzer weiblicher Handlungsoptionen, die auf der Narrativierung Schwarzer Körper in der zeitgenössischen Literatur von Frauen aus der hispanischen Karibik basieren.