Komm rein. Ich zeig dir meine Bilder. Selber gemalt.

Komm rein. Ich zeig dir meine Bilder. Selber gemalt.

"Genossin Kuckuck" ist Anke Feuchtenbergers Beitrag zum galoppierenden Imagewandel der Neunten Kunst
Anke Feuchtenberger

 

Genossin Kuckuck

Anke Feuchtenberger | Genossin Kuckuck | Reprodukt Verlag | 448 Seiten | 44 EUR

Jetzt also preiswürdige Literatur! Anke Feuchtenbergers Genossin Kuckuck hat den Leipziger Buchpreis zwar nicht gewonnen, war aber auf der Shortlist: ein langer Weg des Mediums zur anerkannten Kunstform. Das Werk bebildert auf labyrinthischen Erzähl-Pfaden die Geschichte zweier Mädchen von den 60er bis in die frühen 90er Jahre in der DDR-Provinz. Dass es jetzt auch für den in Fachkreisen wichtigen Max und Moritz Preis des Comic-Salons in Erlangen nominiert wurde, ist nur folgerichtig.

Als Kinder trafen wir uns bei schönem Wetter in unserem Garten, um Comichefte zu lesen. Natürlich stand Mickey Maus ganz oben auf dem Programm. Dieser Lesespaß wurde von den Eltern eher geduldet als gern gesehen und stets mit der Bemerkung versehen, ob wir denn nichts Richtiges lesen könnten, warum es immer diese Schundhefte sein müssten. Argumente für die Lektüre hatten wir keine, einfach nur Lust und Freude. Das Bewusstsein, dass hier eine eigene Form des Erzählens vorliegt, kam später. Als Hugo Pratts Corto Maltese in den Zack-Heften erschien, hat das zuerst eine Ahnung und dann eine Spurensuche ausgelöst, die schnell zu Eisner und Spiegelman führte. Dass hier Kunst vorlag, war sofort klar. Und jetzt sind auch in Deutschland renommierte Buchpreise für Comics in Reichweite, von Schund spricht keiner mehr.

Dabei ist Anke Feuchtenbergs Genossin Kuckuck ehrlich gesagt gar kein Comic. Wäre der Begriff nicht zu sehr auf Kinderliteratur fixiert, so sollte man eher von einem Bilderbuch sprechen. So bleibt für das Werk der Begriff Bilder-Roman, also Graphic Novel, tatsächlich als treffende Kennzeichnung. Auch wenn es sonst kaum Sinn macht, zwischen einem Comic und einer Graphic Novel zu unterscheiden, ist dieser Unterschied bei Feuchtenberger sogar stilrelevant. In ihrer Art des Erzählens entzieht sie sich immer wieder einigen wichtigen Elementen des seriellen Erzählens, die für Comics typisch sind. Sieht man sich zum Beispiel die ersten Seiten an, so wird das Hüpfen der Protagonisten Kerstin und ihrer Freundin Effi auf der Couch (vgl. Bilder links/unten) nicht in einer horizontalen Panelfolge dargestellt, die den zeitlichen Ablauf des Geschehens betonen würde. Stattdessen nimmt die vertikale Aufteilung der Einzelbilder und ihre Verteilung auf gleich mehrere Seiten den zeitlichen Aspekt hinter den räumlichen zurück, sodass eine Art Verzögerung entsteht und parallel zum Dargestellten eine gewisse schwebende Schwerelosigkeit beim Betrachten eintritt. 

Genossin Kuckuck

Damit ist aber gleichzeitig eine narrative Grundlinie für das ganze Buch vorgegeben, denn diese Schwerelosigkeit, dieses Erzählen jenseits der Bodenhaftung, ist das zentrale erzählerische Mittel in Feuchtenbergers Graphic Novel. Sie verzichtet sehr häufig auf eine Handlungsentwicklung in chronologischer Reihenfolge, fasst diese assoziativ, sprunghaft und brüchig auf, was dann wiederum mit der Brüchigkeit der Figuren und ihrer sozialen Umstände korrespondiert. Auch entziehen Verweise auf Mythen, Fabeln, Lokalsagen und Märchen dem Erzählten immer wieder den realen Boden. Geschuldet ist das natürlich einerseits dem anfangs kindlichen Blick der Protagonistin Kerstin auf die Welt. Es ist aber auch ein bewusst gewähltes künstlerisches Stilmittel der Verfremdung und erinnert an das filmische Erzählen eines Guillermo del Toro, der z.B. in Pans Labyrinth durch den Filter des Märchenhaften den Blick auf die sogenannte reale Welt einerseits verstellt, diese aber anderseits dadurch gleichzeitig interpretiert und erhellt. Dass Anke Feuchtenberger dabei vielleicht auch den V-Effekt Bertolt Brechts im Hinterkopf hatte, kann man daran ablesen, dass sie, ganz in seinem Sinne, jedem Kapitel eine Überschrift voranstellt, die einen reflektierend distanzierten Gegenpol zur klassischen Spannungsentwicklung darstellt. Sie kann so unter anderem von Missbrauch, physischer und psychischer Gewalt, sozialem Druck und politischer Verfolgung in der DDR erzählen, ohne diese Dinge konkret ins Bild rücken zu müssen. All das scheint eher hinter oder zwischen den Bildern auf, wird durch diese Erzählweise aber nicht versteckt, manchmal sogar deutlicher sichtbar, wenn man sich auf diesen anspruchsvollen narrativen Ansatz einlässt. Und über allem steht dann zusätzlich noch der Glanz der Erinnerung an eine märchenhafte Kindheit.

Anke Feuchtenbergers Graphic Novel ist ein bildgewaltiges, rätselhaft verwirrendes Bilderbuch, das seine Protagonistinnen und ihr Umfeld in einen ganz intimen und subjektiven Blick nimmt. Ob das nun ein Roman ist, ein Comic oder etwas ganz anderes, bleibt letztendlich unwichtig. Nötig ist eine Offenheit beim Lesen, ein Loslassen von allzu festen Vorstellungen von Handlungslogik und seriellen Bildfolgen. Das Buch löst sich bewusst von erzählerischen Regeln und Grenzen, will sie überschreiten. Wichtig ist daher: Man muss beim Lesen unbedingt Rosis Worte vom Schluss der Erzählung ernst nehmen: Komm rein. Ich zeig dir meine Bilder. Selber gemalt.

Rezensiertes Buch