Die Menschen müssen verrückt sein

Die Menschen müssen verrückt sein

Gaea Schoeters Großwildjagd- und Afrika-Roman "Trophäe" ist eine so kluge wie spannende Introspektion in postkoloniale Befindlichkeiten und eine westliche Moral, die zum Luxusprodukt degeneriert ist
Gaea Schoeter
Bildunterschrift
Gaea Schoeter

Des Menschen Geist ist zu allem fähig – weil alles in ihm ist, die ganze Vergangenheit wie auch die ganze Zukunft. Schließlich, was war es denn, was wir da sahen? Freude, Furcht, Leid, Hingabe, Tapferkeit, Wut – wer konnte es sagen? – aber Wahrheit immerhin – Wahrheit, die ihres Zeitmantels entblößt war. 
– Joseph Conrad,  Herz der Finsternis

Die flämische Autorin, Journalistin, Librettistin und Drehbuchautorin Gaea Schoeter umreißt gleich auf den ersten Seiten ihres fulminanten Romans, worauf sich der Leser einlassen darf: Conrads wird eingangs gedacht und auf Seite 12 ist dann auch Hemingway und seine Doppelbüchse 577 Nitro Express  mit dabei.

Gaea Schoeter | Trophäe | Zsolnay | 256 Seiten | 24 EUR

Doch befinden wir uns weder in der kolonialen Vergangenheit Belgiens, in der der gebürtige Pole und spätere Wahl-Engländer Joseph Conrad als Schiffskapitän auf dem Kongo das Material für sein großes Meisterwerk Herz der Finsternis  sammelte, noch auf einer von Hemingways martialischen Großwildjagden. Schoeters Roman ist in der postkolonialen Gegenwart, dem Hier und jetzt angesiedelt. Der betuchte Großwildjäger Hunter White – der scheinbare Platzhalter-Charakter des Namens wird dann allerdings ebenso wunderbar dekonstruiert wie so vieles in diesem Roman – will endlich ein Nashorn schießen und hat viel Geld dafür bezahlt, um seine Big-Five-Trophäen endlich zu komplettieren. Doch wie so oft im Leben und auf jeder Jagd erst recht läuft etwas schief. Um Hunters Frustration zu kompensieren erläutert ihm sein Gastgeber Van Heeren, dass die Big Five ein alter Hut seien, er statt dessen die Big Six angehen könne, was nichts anderes als die Jagd auf einen Indigenen bedeutet, in diesem Fall ein Mitglied der auf Van Heerens Jagdfarm in Botswana angesiedelten Khoisan-Gruppe, die in kolonialen Zeiten gern als "Buschmänner" bezeichnet wurden, weil sie ihr Jäger- und Sammler-Leben vorwiegend im "Busch" verbrachten. Zahlreiche Feldforschungen westlicher und indigener Ethnologen haben natürlich inzwischen zu der notwendigen Differenzierung nicht nur der Namensgebung, sondern auch der hochkomplexen Sprachen  und Lebensweisen der San-Völker geführt.

Heinz, Hans-Joachim; Keuthmann, Klaus (Hrsg.); Vossen, Rainer (Hrsg. Reihe) | Social Organization of the !Kõ Bushmen | Rüdiger Köppe Verlag | 39,80 EUR

Auf diesem Stand der Forschung inszeniert Schoeter ihre Begegnungen zwischen weißem Jäger und San, wirkt hier nichts folkloristisch und aufgesetzt, allenfalls von einem schwarzen Humor durchzogen und einem radikalen Impetus, den westlich sozialisierten Leser mit seiner Luxusmoral zu verunsichern. Mit dem erzählerischen Mittel der internen Fokalisierung konstruiert Schoeter ihre Geschichte zentral aus Hunters Perspektive. Dazu gehört dann auch ein Plädoyer für die Jagd, das so überzeugend ausgeführt wird, dass es die meisten Leser, deren Herz für Tiere schlägt, zutiefst verunsichern dürfte. Und mit Exkursen in die Historie des Jagens, die die anfängliche Ironie etwa bezüglich Hunters Namen durch einen Verweis auf den legendären Großwildjäger J.A. Hunter  gleich noch einmal bricht.

Dass diese Verunsicherung nur der erste Teil von vielen ist, arrangiert Schoeter äußerst subtil. Zwar entstehen schnell Assoziationen zu der koreanischen Serie Squid Game und  einer ähnlichen Versuchsanordnung über das instrumentalisierte und legalisierte Töten von Menschen, doch nimmt Schoeter sich die Zeit, ihren Anti-Helden weitaus differenzierter zu gestalten als die schematischen Charaktere der Netflix-Serie. Und gleichzeitig eine Moraloffensive ohne Gleichen zu inszenieren, in der Menschenjagd als eine substantiellere und bessere Form der Entwicklungshilfe ausgelobt wird.

Das mag sich im ersten Moment vielleicht ein wenig nach zu viel des Guten anhören, doch jedem, der sich mit der immer wieder pseudopragmatischen und auch zynischen  Entwicklungs- und Nordsüdpolitik unserer Gegenwart beschäftigt, weiß, dass auch hier zweifellos über Leichen gegangen wird und die naiven Zeiten,  in denen ein Film wie Die Götter müssen verrückt sein (1980), einer an sich ähnlichen Geschichte vom Zusammentreffen indigener San und der westlichen Welt, endgültig vorbei sind.  

Schoeter findet dafür genau die richtigen Bilder und eine souveräne, nie zu dialoglastige Geschichte, die gnadenlos und stets ein wenig ironisch darauf aufmerksam macht, dass menschliche Geschichte immer auch einem Bumerang-Faktor unterworfen ist. Und am Ende der vermeintliche Sieger unversehens zum nachhaltigen Verlierer wird. 

Rezensiertes Buch