Milchshakes und Daddys
Es ist Sommer im globalen Süden (und Winter im globalen Norden), und für den Monat Januar bringt Literatur.Review sie alle zusammen und veröffentlicht bisher unübersetzte oder unveröffentlichte Geschichten aus dem Norden und Süden unserer Welt.
Bebang Siy ist eine philippinische Schriftstellerin und Übersetzerin. Ihr viel beachtetes Buch "It's a Mens World", aus dem die vorliegende Erzählung stammt, ist eine Sammlung "humorvoller und doch ergreifender", persönlicher Essays über das Erwachsenwerden im Herzen des Rotlichtviertels Ermita in Manila. Damit leistete sie einen wichtigen Beitrag zur philippinischen Frauenliteratur. Sie ist Autorin von elf Büchern.
Wenn meine Eltern ihre Streitereien beendet hatten, nahm mich mein Vater mit zu Rosie's Diner. Es ist ein amerikanisches Restaurant, das sich damals an der Ecke Salas und M.H. Del Pilar in Ermita befand.
Es heißt jetzt L.A. Cafe.
Rosie's war genau der richtige Ort dafür. Als Ermita noch ein Rotlichtviertel war, traf man hier Amerikaner und alle möglichen Männer mit goldenen Schnurrbärten.
Rosie's Diner war hell erleuchtet. Es hatte weiße Wände und einen geräumigen Innenraum - ein Ort für richtig große Menschen. Wann immer wir dorthin gingen, und das war meistens an den Nachmittagen, waren nicht viele Leute da. Dadurch wurde Rosie's in meinen Augen nur noch größer.
Aber selbst wenn nur wenige Gäste da waren, war es immer noch ein lauter Ort. Die Gäste sprachen laut, und die Gabeln und Löffel klirrten, als ob die Kunden nicht schon laut genug wären.
Nachdem mein Vater einen Platz für uns ausgesucht hatte, bat er mich meistens sofort, das Essen zu bestellen.
Ich war elf Jahre alt, als wir das erste Mal dort aßen. Die pinayische* (1) Kellnerin mit dem hohen Pony (sie trug einen engen T-Shirt) gab uns jeweils eine Speisekarte. Daddy bestellte sofort. Er war ein ungeduldiger Mensch. Ich habe vergessen, was er damals bestellt hat, aber ich bin sicher, es war etwas mit Pommes frites. Ist das nicht so mit dem amerikanischen Essen? Es gibt immer Pommes frites dazu?
Ich hingegen bin jedes Wort auf der Speisekarte durchgegangen. Damals gab es noch keine Bilder auf Speisekarten. Als ich auf die Rubrik Milchshake stieß, atmete ich fünfmal tief durch. Mein Vater dachte, das bedeutet, dass ich genau das wollte, also bestellte er einen für mich. Nachdem er bestellt hatte, fragte er: "Du willst doch einen Milchshake, oder?"
Da ich eine gute Tochter bin, nickte ich einfach.
Er fragte dann: "Welche Geschmacksrichtung?"
"Erdbeere", antwortete ich.
Rosie's Diner war ein perfekter Fast Food-Laden. Die Kellnerinnen brachten das Essen und die Getränke durch eine Tür, die aussah wie eine Tür in einem Schiff. Sie war auch ganz weiß und hatte im oberen Teil ein Loch. Als ob die Tür ein Auge hat. Das benutzten die Leute drinnen, um nach draußen zu schauen, und die Leute draußen, um hineinzuschauen.
Ich hatte nicht erwartet, dass der Milchshake so groß sein würde. Als ich mein Kinn auf die Tischplatte legte, war der Erdbeershake größer als mein Gesicht. Er war wirklich sehr, sehr groß.
Ich habe dieses riesige Getränk im Laufe des Nachmittags Schluck für Schluck in mich hineingesaugt. Daddy erzählte eine Geschichte nach der anderen.
Er sagte, der Grund, warum sie sich stritten, war, dass Mami immer nur Geld wollte. Sie frage stänig nach Geld, ständig. Mami glaube, er habe einen Geldbrunnen in seinem Inneren verborgen. Sie denkt, er würde sich hinhocken und das Geld käme ihm aus dem Arschloch. Er sagte, meine Mutter sei diejenige, die am meisten Geld ausgibt.
Wofür braucht sie all das Geld, das er ihr gebe, fragte er mich. Sie hätten doch nur vier Kinder. Das Haus war umsonst, ebenso wie der Verbrauch von Wasser und Strom. War das nicht an sich schon ein guter Deal? fragte Papa mich. Warum gab Mami dann aber immer noch so viel aus?
Meine Antwort? Nichts.
Und das entsprach der Wahrheit. Ich hatte nichts zu dem zu sagen, worüber mein Vater gesprochen hatte. Ich war damals noch sehr jung. Was bedeutete Geld für mich zu dieser Zeit? 4 Peso, um eine Tetrapackung Hi-C-Saft zu kaufen. Woher wusste ich, dass Geld für das Ende einer Beziehung zwischen Mann und Frau verantwortlich sein konnte?
Mein Vater dachte, ich würde verstehen, wovon er sprach, weil ich ständig mit dem Kopf nickte, während meine Lippen den Strohhalm des Milchshakes umklammerten. Das Seltsame war, dass ich immer, wenn er "deine Mutter" sagte, am Strohhalm saugte. Vielleicht lag das daran, dass er meine Mutter auf eine Weise beschrieb, die mein Herz ins Schlingern brachte - war es doch die Frau, die zufällig fast 24 Stunden am Tag mit meinen Schwestern und mir verbringt. Der Milchshake füllte meinen Magen sehr schnell.
Als wir nach Hause kamen, fühlte ich mich wie ein aufgeblähtes Känguru. Und wenn mich dann jemand mit dem Zeigefinger anstupste, spritzte mir der Erdbeer-Milchshake aus Mund, Ohren und Nase.
Ein Genie hat irgendwann einmal gesagt, dass Männer unsensibel sind. Ich glaube, dieses Genie war auf meiner Seite. Mein Vater wiederholte immer wieder die gleiche Litanei während meines jungen Lebens.
Wir gingen fast jede Woche zu Rosie's. Und jedes Mal, wenn wir dort landeten, bestellte er einen Milchshake für mich. Mit Vanille. Manchmal auch Schokolade.
Und wieder mampfte er alles, was er bestellte, schnell runter, während ich den ganzen Nachmittag am Milchshake nippte und nippte.
"Deine Mutter ist ein Schwachkopf!" Schluck.
"Deine Mutter schlägt sich immer auf die Seite deiner Großmutter." Schluck.
"Außerdem lieben sie beide nur das Geld." Schluck.
"Sie schmarotzen bei mir." Schluck.
"Deine Großmutter schmarotzt bei mir und..."
Einen Moment lang war ich meinem Vater voraus.
Schluck.... "...deine Mutter ganz genauso."
Nun, er hatte sich wiederholt.
In Rosie's Diner hat er mir alles Mögliche erzählt. Wusste ich, dass meine Großmutter ihren Cousin geheiratet hatte? Wie kann das sein? Cousins und Cousinen heiraten? Sieh dir nur die Nasen deines Großvaters und deiner Großmutter an, sie sind beide lang und haben eine sehr runde Spitze am Ende. Sie sehen sich ähnlich, weil sie vom selben Blut sind. Sündhaft ist das. Es ist verboten, dass Verwandte untereinander heiraten.
Deshalb sind auch ihre Kinder, einschließlich Mami, sündhaft. Unmoralisch. Schlecht.
Viele Monate vergingen, und es wurde weiter geredet und geschlürft.
Schließlich trennten sich Mami und Daddy. Wir Schwestern wurden geteilt wie Brötchen. Zum Mitnehmen. Die beiden mit Fleisch, meine zwei Schwestern, nahm meine Mutter mit nach Parañaque. Dort trafen sie auf meinen neuen Stiefvater. Colay und ich blieben bei Papa in Ermita.
Danach gingen wir nur noch selten zu Rosie's Diner. Aber wann immer wir die Gelegenheit hatten, vergaß mein Vater nicht, mir einen Milchshake zu bestellen.
"Hast du gesehen, wie schnell deine Mutter einen neuen Mann gefunden hat?"
"Sie ist nie zufrieden. Deine Mutter ist so ein Flittchen."
Der Name des neuen Mannes meiner Mutter sei Blah blah blah. Meine Mutter sei eine Verführerin, deshalb lasse sie sich auch gerne die Haare lang wachsen. Männer werden von Frauen mit langen Haaren schneller verführt. Mein Vater hat mir gesagt, ich soll bloß nicht dem Beispiel meiner Mutter folgen.
"Dem Beispiel deiner Mutter." Schluck.
Nach ein paar Jahren hatte mein Vater plötzlich einen Herzinfarkt. Er verbrachte zwei Wochen auf der Intensivstation. Bald darauf starb er. Unsere Verwandten schickten uns zu unserer Mutter, aber Colay wollte nicht bei ihr sein. Sie ist doch eine schlechte Mutter? Sie ist eine schlechte Frau! Fast wie eine kleine Hure, sagte mein Vater. Das ist doch so, oder?
Aber wir hatten keine Wahl, denn niemand außer Mami wollte sich um uns kümmern. Wir waren gezwungen, zu ihr nach Hause zu ziehen. Dann gingen Mami und mein Stiefvater auch noch bankrott, sie verloren ihre Jobs. Sie schickte uns auf eine öffentliche Schule. Sie brachte uns jeden Tag zur Schule. Wenn wir nach Hause kamen, bat sie uns, auf unsere jüngeren Schwestern aufzupassen. Sie müsse arbeiten, hat sie gesagt. Was wussten Colay und ich schon von dieser Art von Leben?
Nach ein paar Jahren bat sie mich, ihr zu helfen. Sie sagte, wir würden Okra auf dem Markt verkaufen. Mach einfach ein andermal deine Hausaufgaben. Vergiss die Freundinnen und das Flanieren.
Das Geräusch vom Saugen am Strohhalm des Milchshakes kehrte plötzlich in mein Denken zurück.
Schluckk. Schluckkkk.
"Deine Mutter ist eine Schwachkopf." Saug.
"Sie ist nur auf Geld aus." Ucckkk.
"Sie denkt zuerst ans Geld." Schlucccckkk.
"Das ist deine Mutter uns nichts anderes." Schluck. "Völlig wertlos." Saug. "Böse." "Scheiße".
Warum muss ich dieser Frau Folge leisten? Sie ist doch sowieso wertlos. Eine wertlose Ehefrau und für mich, so die Schlussfolgerung, eine wertlose Mutter.
Ich wollte weg von ihr. Ich wollte nicht so werden wie sie. Daddy wird wütend sein, wenn das passiert. All diese Milchshakes wären dann ja umsonst gewesen!
Da traf ich den Jungen, von dem ich dachte, er würde mich vor Mami retten, meinen ersten Freund. Ich klammerte mich an ihn, obwohl ich keine Ahnung hatte, zu was das führen würde. Ich tat es mit geschlossenen Augen, ohne zu sehen, dass die Augen meiner Mutter aufgequollen waren, weil sie darüber weinte, was ich mit meinem Leben anstellte.
Ich war siebzehn, als wir durchbrannten und mit dem Studium aufhörten. Achtzehn, als ich schwanger wurde.
Neunzehn, als ich entbunden habe. Und ein Jahr war noch nicht vergangen, als der Vater meines Babys und ich uns trennten.
Ich trug mein Baby, als ich eines Tages das Grab meines Vaters besuchte.
Nach meinem Gebet flüsterte ich dem Wind, der leise wehte, zu, was ich schon so lange sagen wollte.
"Dad, Danke für all die Milchshakes und dann doch lieber: nein danke!"
Der hier veröffentlichte Text ist einer von 20 Geschichten aus Bebang Siy's literarischem Debüt, des Memoirs It's a Mens World.
1: Pinoy (weiblich: Pinay) ist eine informelle Bezeichnung, die von Filipinos für ihre Landsleute in den Philippinen verwendet wird. Filipinos bezeichnen sich normalerweise formlos mit dem Wort Pinoy, das gebildet wird, indem man die letzten vier Buchstaben des Wortes „Filipino“ nimmt und das diminutive Suffix-y anfügt. (Quelle: Wikipedia)