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Moni Stănilăs Gedicht "34. Wir haben eine Zeitlang gut gelebt"
Alexandru Bulucz

Galante Lügen: die Lyrikkolumne unter der Federführung von Alexandru Bulucz - frei nach Johann Christian Günther, dem Barockdichter auf der Schwelle zur Aufklärung, der Spötter mit den Worten wiedergab, Poeten seien "nur galante Lügner". Hier wird Dichtung reflektiert und präsentiert werden: in Rezensionen, Essays, Monatsgedichten und gelegentlich auch Bestenlisten.

Die 1978 in Westrumänien geborene Moni Stănilă ist eine vielseitige Schriftstellerin. Nach dem Studium der orthodoxen Theologie hat sie sich nicht nur als Dichterin hervorgetan, sondern auch als Kinderbuch- und Romanautorin. Zudem hat sie 2019 eine literarische Biografie über den rumänisch-französischen Bildhauer Constantin Brâncuși veröffentlicht. Für ihren letzten, 2022 bei „Nemira“ in Bukarest erschienenen Gedichtband Ofsaid bekam sie kürzlich den Preis des Senders „Radio România Cultural“ in der Kategorie Poesie und  den renommierten „Observator Cultural”-Preis. Die Jury lobte sie für die kühne, weil unwahrscheinliche Verknüpfung von drei auf den ersten Blick disparaten Themen: christlicher Glaube, Fußball und Krieg.
Der Gedichtband besteht aus zwei Teilen mit je 33 Gedichten. Der erste, „Mikrobisten-Tagebuch“ – ein "Mikrobist" ist ein leidenschaftlicher Fan –, ist zwischen 2014 und 2022 entstanden, der zweite, „Tagebuch von der/ über die Front“, in den ersten Monaten des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, den die Autorin aus ihrer Wahlheimat Chișinău, der Hauptstadt der an die Ukraine angrenzenden Republik Moldau erlebt.

Moni Stănilă

34. Wir haben eine Zeitlang gut gelebt

und die Poesie wurde von der Werbung erfasst, von Schönheits-
diskursen. Die Dichter
haben woanders gesucht, haben das Leiden und
den Affekt beengter Räume bewahrt. Die Unangepasstheit und
die sozialen Unterschiede. Den grünen Diskurs und die unvermittelte Liebe. 
Die politische Korrektheit. Die Ästhetik eines Fußballspiels.
Die moralischen Trümmer der Großstädte.

Dann kam die Pandemie. Die Furcht und
der Frust in verallgemeinernder Gestalt. Die Virtualisierung sozialen Lebens.
Die Poesie bestand hartnäckig darauf, das zu bleiben, was sie gewesen ist.
Doch die Abgeschiedenheit wurde stärker. Und alle
dachten, wie schlimm es sei.

Der Krieg ist an uns herangerückt, und die Dichter haben aufgehört,
Atempausen zu suchen, was sich um uns herum
ankündigte, wurde schärfer als jeder Vers.
Gewalttätiger als jede Pandemie.
Die Schlagzeilen der Nachrichtensendungen haben die samtenen Gehäuse
unseres Verstands aufgespalten:
Die menschlichen Korridore sind bombardiert.
Das Kernkraftwerk von Tschernobyl wird in diesen Augenblicken angegriffen.
Mindestens 103 Kinder wurden in der Ukraine seit dem Beginn der russischen Invasion getötet.
Söldnertrupps mit dem Auftrag,
Selenskyj zu ermorden.
Bombardierte Säuglinge.
Putin hat die Mariupoler Geburtsklinik Nr. 2 angegriffen.
Der Bürgermeister von Hostomel getötet beim Verteilen
von Brot und Medikamenten.
Der zehnte Tag ohne Wasser und Heizung in Mariupol.
Mütter flüchten mit Kindern im Arm.

Die Realität hat sich verwandelt
in die brutalste Form der Poesie.
Das Schweigen gehört nur den Toten – aus Butscha (l.e.*)

und den Feiglingen.

Der Himmel über der Ukraine bleibt offen und die Alten beten
um Regen oder Schnee –
um Wasser wie auch immer
für Mariupol.

*later edit

Aus dem Rumänischen von Alexandru Bulucz