Worüber wir im Abschiebe-Truck schweigen
Jhak Valcourt ist ein haitianischer Schriftsteller, Übersetzer, bildender Künstler und Lehrer. Er ist Autor des Romans El vaivén de las horas und des Kurzgeschichtenbandes Grietas, aus dem zwei Geschichten in der Rubrik "Conexión Derek Walcott" des Online-Magazins Trasdemar erschienen sind.
Das Polizeiauto hält neben dir. Einer der drei Beamten fordert dich auf, anzuhalten. Du gehorchst. Du bemühst dich, deine zitternden Hände zu kontrollieren, denn obwohl du legal hier bist, weißt du, dass es ein Fluch ist, schwarz und Haitianer*in in der Dominikanischen Republik zu sein. Du versuchst, ruhig zu bleiben, du redest dir ein, dass du dir, wenn du nicht gegen Gesetze verstoßen hast, keine Sorgen zu machen brauchst, aber tief in dir spürst du schon, wie dir Schande droht.
"Wohin gehst du, Moreno?" Ich bin auf dem Weg zu Caribe Tours, um ein Paket abzuholen. Während du antwortest, tastet ein anderer deinen ganzen Körper ab, hebt dein Shirt hoch. "Geben Sie uns Ihre Papiere!" In der Hand hältst du ein Buch, in den Hosentaschen ist dein Handy, die Brieftasche, in der du eine Kopie deines Reisepasses, deines Studentenausweises und deines Legalisierungsplans hast. Alles auf dem neuesten Stand. Du nimmst sie heraus und gibst sie ihnen. Sie sehen sie sich an. Sie sehen dich an. Sie sehen sich gegenseitig an. "Bringen Sie ihn weg", befiehlt der Chef verärgert, als ob er dich hätte ganz ohne Papiere sehen wollen. "Moreno, das sind falsche Papiere", sagt der andere zu dir, geradezu entschuldigend. Er packt dich an den Gürtelschlaufen und zerrt dich ins Auto, als wärst du ein Dieb.
Im Jahr 2023 lebten mehr als 500.000 Haitianer*innen in der Dominikanischen Republik, die rund 11 Millionen Einwohner*innen hat. Menschenrechtsaktivist*innen zufolge hat die Misshandlung von Haitianer*innen unter dem seit August 2020 amtierenden Präsidenten der DR, Luis Abinader, zugenommen. Laut Beobachter*innen kam es im Jahr 2021 zu einem sprunghaften Anstieg der Abschiebungen: mehr als 31.000 Menschen wurden nach Haiti zurückgeschickt. Es kam zu zahlreichen anti-haitianischen Maßnahmen, u. a. zur Trennung von Kindern von ihren Eltern und zur Abschiebung von Schwangeren, zu Racial Profiling (die meisten Haitianer sind schwarz; Dominikaner bezeichnen sich als multiethnisch), zur Aussetzung haitianischer Studentenvisa, zur Verpflichtung haitianischer Migrant*innen, ihren Aufenthaltsort zu registrieren, und zum Verbot für Unternehmen, mehr als 20 % ihrer Belegschaft aus Migrant*innen zu rekrutieren. Seit die dominikanische Regierung am 2. Oktober 2024 ankündigte, dass sie ihre Kampagne zur Ausweisung von 10.000 Einwanderer*innen pro Woche umsetzen würde, hat die Internationale Organisation für Migration (IOM) in weniger als einer Woche an drei der vier offiziellen Grenzübergänge zwischen Haiti und der Dominikanischen Republik mehr als 7.800 Ausweisungen von Haitianer*innen verzeichnet, was einem Anstieg von 95 % gegenüber der Vorwoche entspricht.
Auf dem Weg dorthin machst du ein paar Anrufe. Denn sobald du auf der Dienststelle bist, bist du nicht mehr erreichbar. Sie nehmen dir den Gürtel ab, die Schnürsenkel, dein Handy, sie sperren dich in einen Schweinestall, der schlimmer stinkt als ein monatelang nicht geleerter Müllwagen. Zum Trost sagen sie dir, "wenn alles in Ordnung ist, hast du nichts zu befürchten". Aber sie sagen dir nie, dass du legal bist, dass du frei bist. Das Schlimmste ist, dass du alle Beweise dafür hast, dass bei dir alles in Ordnung ist.
Nach einer Weile öffnen sie die Tür und führen dich mit anderen Haitianer*innen hinaus. Einige von ihnen sind schon seit dem Vortag hier. Sie haben noch nichts gegessen. Sie haben nichts zu trinken bekommen. Sie schreiben einen Bericht, setzen dich in einen anderen Streifenwagen und verlegen dich in eine andere Dienststelle, um die Leute, die du um Hilfe gebeten hast, auf die falsche Fährte zu locken.
Dort wird es noch schlimmer: Sobald du durch die Tür dieses anderen Gefangenenlagers gehst, begrüßen dich die Insassen mit Drohungen, genau wie die Polizei: Sie ziehen dir die Hose herunter, tasten deinen Hintern ab, um zu sehen, was du bei dir trägst. Wenn du Geld hast, nehmen sie es dir ab. Du läufst Gefahr, geschlagen oder vergewaltigt zu werden, und wenn das passiert, ist es den Beamten scheißegal, denn für sie ist niemand in dieser Zelle ein Mensch. Du bist weniger wert als ein Schwein. Es ist ihnen egal, ob du Student, Ladenbesitzer, Lehrer, Maurer oder sonst wer bist.
Hier, in diesem Loch, hast du jedes Recht verloren, ein Mensch zu sein. Deine Würde ist schon an dem Ort, an dem sie dich verhaftet haben, kollabiert, sie ist dort geblieben, zerschlagen. Das, was sie mit sich schleppen, ist ein Ding, nichts unterscheidet dich mehr von einem Tier. Niemand kümmert sich darum, ob du durstig bist. Der Gestank von über Jahrhunderten aufgehäufter Scheiße und eingetrocknetem Urin zerfrisst dir die Lunge. Du hörst dein Handy klingeln. Es sind die Leute, die du um Hilfe gebeten hast, aber man lässt dich nicht anrufen, obwohl man dir gesagt hat, man ließe dich gehen, wenn dich jemand abholt. Ein Scherz war das. Hier sind alle Beamten taub für Beschwerden, für jegliches Flehen.
Die Zuständigen für Migration treffen ein, vielleicht hat die Polizei sie angerufen, um sie über das Vieh zu informieren, das es gerade für sie eingefangen hat. Es gibt keinen humanen Ausdruck, um ihnen deinen Fall zu schildern oder sie dafür zu sensibilisieren. In ihrem Ehrenkodex kommen gewisse Wörter nicht vor: Sensibilität, Herz, Respekt, Humanismus ...
Sie stecken dich in eine camiona, einen Truck, der voller Müll ist und feucht und stinkt wie die Gefängniszellen. Wenn du einmal drin bist, lassen sie dich nicht rausgehen, um dich zu erleichtern, egal wie oft sie durch die Stadt fahren, um nach anderen "Viechern" wie dir zu suchen. Und wenn du siehst, wie sie die anderen jagen, weißt du nicht, ob du nicht dankbar sein solltest, von der Polizei festgehalten worden zu sein, damit du nicht gejagt werden musstest, als hättest du das schlimmste aller Verbrechen begangen. Du platzt fast vor Ohnmacht und Wut. Dir ist zum Weinen zumute. Du wehrst dich, um ihnen zum Teufel nochmal nicht das Vergnügen zu bereiten, sich in deiner Erniedrigung und ihrer absurde Rache zu suhlen. Was haben wir ihnen angetan, dass sie uns so hassen und verachten?
Wenn deine Papiere nicht in Ordnung wären, könntest du dir selbst die Schuld geben oder der Regierung deines Landes. Aber du hast den legalen Status, hast die Dokumente, die dir die Einwanderungsbehörde ausgestellt hat und dafür über 20.000 Pesos im Rahmen des Legalisierungsplans bezahlt, zusätzlich zu dem, was du jedes Jahr für die Erneuerung der Papiere zahlst. Und da wirst du misshandelt? Ja, hier in der Dominikanischen Republik bezahlen die Haitianer*innen die Migration, um misshandelt und gedemütigt zu werden und ihre Würde mit Füßen getreten zu sehen.
Ein Anwalt verlangt jedes Jahr zwischen 2.500 und 3.500 Pesos für ein Arbeitszeugnis, zwischen 2.000 und 3.000 für ein Führungszeugnis. Man zahlt 2.000 Pesos für die Erneuerung des Personalausweises, der eigentlich innerhalb von zwei Monaten nach Antragstellung ausgestellt werden sollte, doch wartet man bis zu einem Jahr oder länger auf die Ausstellung, weil man in dieser Zeit als illegal gilt, und wenn man illegal ist, läuft das Geschäft mit der Abschiebung und den anschließenden Rückkehrgebühren wie geschmiert. Ein Meisterstück.
"Wenn du hier überleben willst, musst du dir die Nase zuhalten, um stinkendes Wasser zu schlucken; und es ist tausendmal besser, in die Hände von Räubern zu fallen als in die Hände der Polizei oder der Einwanderungsbehörde, denn das sind Räuber mit Macht und von der Regierung Gnaden", so ein Mitreisender in der camiona, dem Gefängnis-Truck. Daraufhin hebst du den Kopf und schaust ihn voller Bewunderung an, denn niemand wird diesem Niemand zuhören, der genau die richtigen Worte findet, um unsere Tragödie auszudrücken; niemand wird wissen, dass er mit legalen Papieren festgehalten wurde wie du auch.
Immer wieder tritt der Fahrer auf die Bremse, als ob das, was er transportiert, Kühe wären, für den Schlachthof, als ob er sagen wollte, sie sind doch schon tot, was nützt es, sich um sie zu kümmern. "Hey, Boss", ruft ein Haitianer einem Polizisten zu, "wie viel gebe ich Ihnen, damit Sie mich gehen lassen? Ich habe meine Frau zurückgelassen, die gerade entbunden hat, und einen weiteren Jungen. Heute ist Zahltag, und ich bin ihre einzige Hoffnung. Sie wissen nicht einmal, dass ich hier bin." Der Chef lächelt schamlos und zeigt ihm fünf schmutzige Finger. "Fünftausend", erklärt ein Landsmann mit trauriger, rauer Stimme. Der Mann seufzt, presst den Kiefer zusammen, "Oh Allmächtiger, sieh dir unser Elend an", sagt er kopfschüttelnd, bevor er resigniert in seine Tasche greift und dem Beamten etwas durch die Gitterstäbe reicht. Der Beamte übergibt das Geld einem anderen, öffnet dann die Tür und lässt achtlos den falschen Mann frei. Jetzt macht alles Sinn: Es ist ein lukratives Geschäft, das kann man jedem Migrationsbeauftragten ansehen. Wie viele Haitianer zahlen täglich diese Summe?
Abermals werden wir durch das Bremsen in den hinteren Teil des Truck-Gefängnisses geschleudert. Dabei sollte man nicht hinzufallen, denn dieser Gestank, dieser Dreck ist schwer zu entfernen, selbst wenn man sich mit Bleichmittel schrubbt, denn es ist kein Fleck auf der Haut oder der Kleidung, sondern an der Seele. Er ist das Mal, das dir von dem Moment an, in dem du in der Dominikanischen Republik ankommst, auf die Stirn gebrannt wird, damit du nicht vergisst, dass du Haitianer bist, ein Schwarzer, ein Gedemütigter, ein Verachteter, ein Abgelehnter ...
"Centro de Acogida Vacacional de Haina" ("Erholungsheim Haina")? Warte, das hat Erklärungsbedarf: In einem "Heim" sind Menschen, denen Gastfreundschaft oder Schutz gewährt wird; Menschen, die in einer WOHLTÄTIGKEITSeinrichtung aufgenommen werden; und "Erholung", wow! Sind wir denn im Urlaub? Die Migrationsbehörde sollte sich einen besseren Namen ausdenken, vielleicht eher: "Centro de recogidos vacas-soñando de Haina" ("Sammellager für träumende Kühe Haina") denn, obwohl sie uns wie Tiere behandeln, träumen wir. Wir träumen davon, dass sie uns eines Tages wie Menschen behandeln, mit all der Würde, die wir verdienen, ohne Hass, ohne Verachtung, ohne Haitianophobie. "Centro de Acogida Vaca…" ("Aufnahmezentrum für Kühe ...") – schauerlich! Ironisch, nicht wahr? Klar, wir sind im Ferienlager. Träumer. Warum auch nicht? Was ist schon der Unterschied zwischen dir und einer Kuh in dieser Situation?
Bereits im Hof des Zentrums sehnt man sich danach, dass sie einen sofort aus diesem Gefängnis-Truck herausholen, damit man etwas frische Luft atmen kann, aber nein, sie lassen einen dort, eingesperrt, während die Sonne auf das Metalldach brennt und die Hitze direkt in dein Gehirn dringt. Du bekommst das Gefühl, dass sie dich bis zum letzten Schweißtropfen quälen wollen, bis du den Verstand verlierst. Wenn sie dich dann endlich rauslassen, stellen sie dich in Zehnerreihen auf, um Fotos von dir zu machen – Beweise für ihre heldenhafte, patriotische Arbeit: Pornografie deines Elends – denn in diesem Kuhtraumzentrum bist du sogar Model geworden.
Drinnen stinkt es nach Gefängnis. Ein feuchter Zementboden, auf dem diejenigen schlafen, die länger bleiben. Draußen zahlen die Menschen für die Freilassung ihrer Angehörigen. Diejenigen, die kein Geld haben, sollen mal warten, über ihr Schicksal nachdenken. In der Zwischenzeit fragt man sich: Wenn sie uns, die legalen und sichtbaren Menschen, so behandeln, wie behandeln sie dann die Unsichtbaren, die illegalen Einwander*innen ohne Fürsprache? Aber das Traurigste ist, dass die Dominikanische Republik, wenn sie dich endlich gehen lassen, ihren Reiz verloren hat. Sie schmeckt faulig, nach Verwesung. Dann bekümmert dich, ja tut es dir weh, dass du deinen Freunden in diesem Land nicht mehr mit dem gleichen Respekt, der gleichen Wertschätzung und Liebe entgegentreten kannst, auch wenn es nicht ihre Schuld ist.