Abirached, Sfar, Simpsons, Žeželj & Franquin

Abirached, Sfar, Simpsons, Žeželj & Franquin

Wichtige Neuerscheinungen und Neuigkeiten im Bereich Comic
Winfried Weiser
Bildunterschrift
Winfried Weiser by Bravo
Joann Sfar

Joann Sfar bekommt den Ehrenpreis des Comic-Salons in Erlangen für sein Lebenswerk. Der große Erzähler hat mit Die Synagoge (Avant Verlag) den vielleicht wichtigsten Band des Jahres 2023 vorgelegt. Mit Humor und Selbstironie hat er auf seine  Corona-Infektion reagiert, die ihn schwer erkranken ließ. Sie war ihm aber auch Anlass, eine Rückschau auf seine eigene Jugend zu halten und sein sephardisches Judentum mit seinem schnellen impressionistischen Strich zu reflektieren.  Das ist bei allem Ernst urkomisch, erhellend und spannend. Im Juni wird diese autofiktionale Erzählung mit Der Götzendiener fortgesetzt. Wer so lange nicht warten will, kann sich bis dahin auf die Sammelbände von Die Katze des Rabbiners stürzen. Mit philosophischen Kommentaren entlarvt das Tier unsere kleineren und größeren menschlichen Unzulänglichkeiten, seit sie im ersten Band einen Papagei gefressen hat und nun sprechen kann. 

Die Simpsons

Die Simpsons - Gelber wird’s nicht | 23. März bis 27. Oktober 2024 | schauraum: comic + cartoon

In Dortmund gibt es eine besondere Geburtstagsparty: Mit Die Simpsons - Gelber wird’s nicht ist vom 23. März bis 27. Oktober im schauraum: comic + cartoon eine Ausstellung zu den Simpsons und ihrem Schöpfer zu sehen. Vom Pausenfüller in der Tracy Ullman Show zum vielleicht größten globalen Medienerfolg: Die Ausstellung feiert 35 Jahre Die Simpsons und 70 Jahre Matt Groening

Der Kulturwissenschaftler Alexander Braun hat die Ausstellung sachkundig kuratiert und ihr auch einen großartigen Katalog zur Seite gestellt, den die Süddeutsche Zeitung schon jetzt als „Allumfassendes Standardwerk“ bezeichnet. Hier erhält man wichtige Informationen über die fluide Konsistenz dieser Kleinstadt, die je nach Bedarf am Meer oder an Berghängen liegt und deren wichtigste Konstante offensichtlich das am längsten brennende Autoreifenfeuer des Planeten ist. Dementsprechend: 35 Jahre Simpsons und The Fire Still Burns! 

Wie ein Hund, Danijel Žeželj

Der hundertste Todestag Franz Kafkas geht auch am Medium Comic nicht spurlos vorüber. Dabei kommt es auch immer wieder zu problematischen Adaptionen seiner parabolischen Erzählungen. Wo Kafka bewusst mehrdeutig bleiben will und sich einer klaren Festlegung auf eine Lesart entzieht, sollte eine Bebilderung seiner Texte diese Mehrdeutigkeit nicht aufheben und zum Beispiel das Ungeziefer aus Kafkas Verwandlung allzu plastisch ins Bild rücken. Danijel Žeželj verweigert sich in Wie ein Hund (Avant Verlag) zum Glück dieser Eindeutigkeit und setzt einer assoziativen Textcollage aus diversen Kafka-Erzählungen kraftvolle schwarz-weiß Grafiken gegenüber.  Im Zentrum der Geschichte steht Ein Hungerkünstler, welcher Text aber mehrfach durch andere Elemente aus Kafkas Universum erweitert wird. Gerade auch durch diese Collagetechnik gelingt ein Zugang zu Kafka abseits einer bildhaften Verfestigung. Denn die Bilder setzen die Textstelle zwar um, ergänzen diese dabei aber häufig, öffnen oder deuten sie auch individuell, ohne sie auf eine Lesart festzulegen. Oft verzichtet Danijel Žeželj dabei ganz auf Text und lässt die Bilder ihren eigenen düster-melancholischen Stimmungsraum entfalten. 

Beim Thema Wiederbelebung gibt es ja eigentlich nur zwei Optionen: Entweder es geht um Zombies oder um ein Wunder. Da die erste große Generation der franko-belgischen Comicszene gestorben ist, stellt sich immer wieder die Frage, wie es mit ihren Figuren und Serien weitergehen soll. Schon mehrfach (Lucky Luke, Asterix…) hat es einen weitgehend reibungslosen Übergang zu neuen Zeichnern und Autoren gegeben, die die große Tradition gelungen fortsetzen konnten. 

Delaf | Gaston 22 | Carlsen | 48 Seiten | 15 EUR

Auch Franquins Figurenuniversum wurde mit Spirou und dem Marsupilami in vielfältiger Form neu belebt. Aber für seine Serie Gaston hatte Franquin eigentlich verfügt, dass kein anderer Zeichner deren Figuren übernehmen sollte. Ein kompliziertes Vertragsverhältnis ermöglicht es nun den neuen Rechteinhabern, die Serie nach 1997 mit Gaston Band 22 wieder aufleben zu lassen. Gezeichnet und getextet wurde der Band vom bislang weitgehend unbekannten Franko-Kanadier Marc Delafontaine („Delaf“). Schlägt man das Album auf, ist man dann zuerst einmal überrascht und verblüfft von der Präzision, mit der Delaf das Figurenuniversum Franquins adaptiert. Es ist keinerlei Bruch festzustellen, der Strich ist flüssig und geprägt von der großen Dynamik, die Franquins Stil auszeichnet und die schon im Cover erkennbar ist. Die Zeichnungen knüpfen also direkt da an, wo Franquin aufgehört hat. Aber fast noch überraschender ist, dass es Delaf gelungen ist, auch Franquins Humor präzise zu spiegeln. Die Pointen sitzen, man muss vergnügt schmunzeln und sogar mehrfach laut lachen. Die Freude und Erleichterung, dass hier kein Comic- Zombie durch die Landschaft wankt, ist gewaltig. Für mich ist die Wiederbelebung unseres Lieblingschaoten ein kleines, feines Comicwunder.

Der Libanesin Zeina Abirached gelang es, mit ihren flächigen und kraftvollen Illustrationen, die oft an Scherenschnitte erinnern, wundervolle Geschichten über ihr Familienleben im Libanon erzählen.

Der Prophet, Zeina Abirached

Ich erinnere mich und Das Spiel der Schwalben zeichnen autobiografische Bilder aus dem Bürgerkriegsalltag. Piano Oriental widmet sich ihrer Familiengeschichte in der Zeit davor und entwirft ein Panorama des vielfältigen Lebens in Beirut Anfang der 1960er Jahre. All diese lesenswerten Bände sind im Avant Verlag erschienen. Zeina Abiracheds Ziel ist es, mit ihnen ein kollektives Gedächtnis an ein Beirut aufrecht zu erhalten, das seit dem Bürgerkrieg verschwunden ist. Diesem Ziel ist letztlich auch die Adaption von Khalil Gibrans Der Prophet gewidmet. Gibran gilt im Libanon als bedeutendster Schriftsteller seines Landes und Der Prophet als sein Hauptwerk. Dabei verfasste er nur seine frühen Werke in Arabisch, seine Hauptwerke jedoch in Englisch. Dadurch entstand eine kontrastive Mischung aus westlichem Sprachduktus und einer Orientierung an eher orientalisch blumigen Sprachbildern. Wie lässt sich diese Mischung in einen Comic transferieren, zumal Der Prophet bereits von Gibran selbst in einem doch recht kitschigen Jugendstil illustriert wurde. Erfreulicherweise löst sich Zeina Abirached davon und bleibt bei ihrer flächigen und kontrastreichen grafischen Sprache. Auch bildet sie Gibrans Worte nur selten unmittelbar ab und vermeidet damit eine illustrative Banalität. Viel eher öffnet sie in gewisser Weise Interpretationsarabesken. Die Bilder ranken sich wie Kommentare um die eingebettete Textstruktur und geben Gibrans Worten einen meditativen Spielraum. Die große sprachliche Bilderfülle Gibrans wird durch die Illustration entzerrt, weil man sich in die einzelnen Darstellungen versenken kann und der Blick entschleunigt zur nächsten Seite wandert. So bekommen Gibrans Aphorismen eine wohltuende Leichtigkeit und können vom Leser neu entdeckt werden.